Bismarck 02
nun aber einmal die wenig einheitlichen Bedingungen getroffen waren, die den ihm sehr zuwidern Roi-Soleil von Hohenschwangau jederzeit verlocken konnten, als »selbständiger Souverän« eine antideutsche Politik zu führen, so hielt der Name »Kaiser von Deutschland« eine Hintertür offen, durch die ein volles Einheitskaisertum einmarschieren konnte. In »Deutscher Kaiser« lag ein für allemal jenes Wahlkönigtum, unter dem das alte Deutschland so viel zu leiden hatte. Was war denn eigentlich los mit diesem Bismarck, den alle Welt einen Realpolitiker nannte und der doch offenbar hier in Phantasien sich erging? Aus solch einem Föderativstaat konnte doch am Ende nicht viel Besseres werden als aus dem alten Bundestag. Ob sich durch Einflüsterung von Höflingen nicht sogar der Verdacht einmischte, der preußische Kanzler schmeichle sich aus Privatgründen an König Ludwig an? Wer kann das wissen! Dem gerechten Vaterlandsfreund und Geschichtschreiber aber steht es an, die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Das deutsche Volk hat sich das Recht durch ungeheure Opfer erkauft, die volle Wahrheit zu hören. Und diese Wahrheit hat den erhebenden letzten Schluß, daß auch hier König Wilhelm ein völlig anderer erscheint, als ihn die Legende von fast allen Parteien gerne haben möchte. Nicht als der blindlings von seinem grimmen Hagen Geleitete und Geführte, sondern als eine durchaus selbständige Persönlichkeit, die ihr eigenes Nachdenken festhielt. Dieser geheime Zwist zwischen König und Kanzler, weit entfernt von der läppischen, jeder gesunden Logik spottenden Auslegung, die man unterschob, hatte ein äußerst ernstes Gepräge der Uneinigkeit über eine entscheidende Frage, bei welcher der König und nicht der Kanzler anscheinend das historische Recht und die Wünsche der Nation vertrat. So weit ging aber die theoretisch und prinzipiell richtige Erkenntnis des Königs und vieler Geistesspitzen nicht, um die praktische Unrichtigkeit zu durchschauen. Das konnte nur das politische Genie, das schon so oft den zentrifugalen Individualismus der Deutschen betont hatte. Gewiß, die vom Kronprinzen (und heimlich vom König) gewünschte Aufhebung der verschiedenen Königswürden und Separatrechte hätte sich durchführen lassen, denn die Militärkreise aller deutschen Stämme standen überwiegend auf preußischnationaler Seite im Sinne eines allmächtigen Kaisertums. Doch dem Volk, vornehmlich in Oberbayern, wo noch klerikale Verhetzung mitsprach, hätte man dies niemals mundgerecht gemacht. Daß keine Schonung und Freundlichkeit fruchtete, bewies nachher das oberbayrische Geheul, die Saupreißen hätten den heißgeliebten edeln Menschenfreund Ludwig, diesen Vater der Bajuvaren, meuchlings umgebracht, welches infame Geschwätz sogar vor der ehrwürdigen Gestalt des ausgezeichneten Regenten Luitpold nicht haltmachte. Man könnte nun folgern: da also Bismarcks Föderativstaat in Bayern ein moralisches Fiasko erlitt, so hätte man lieber gleich gewaltsam Bayern zum Vasallen herabdrücken sollen. Doch da kennt man die Zähigkeit des deutschen Stammeshaders nicht, gegen den weder Gewalt noch Güte, sondern nur Zeit und Gewohnheit etwas ausrichten können. Selbst nach viereinhalb Dezennien gab es noch vereinzelte Lumpenhunde, meist klerikal verseuchte Bauern, die zum seligen Sigl vom »Vaterland« (schöner Name!) beteten und nicht für Saupreußen fechten möchten. Tausendmal mehr Schandbuben solchen Kalibers hätte es gegeben, wenn man die wahre Einheitsmonarchie des »Kaisers von Deutschland« errichtet hätte. Und es wäre auch kein Glück gewesen. Der Bundesstaat entspricht dem innersten Wesen der deutschen Stämme, und sie offenbarten in schwerster nationaler Not, daß sie unter ihren verschiedenen Fahnen doch alle wie ein Mann für Kaiser und Reich marschierten. Die Verschiedenheit der Sitten wie der Mundart belebt den Reichtum deutschen Wesens, der Preuße freut sich, wenn er in ein sonderstämmiges Bayern kommt. Ehre König Wilhelm, daß er die eine Hälfte der Wahrheit erkannte, Ehre dem Genius, daß er die andere wichtigere Hälfte festhielt, allen Nörglern zum Trotz!
Es war am 27. Januar, als ein Frühstück bei Bismarck hergerichtet wurde. »Jules Favre also zum zweiten Male! Unwiderruflich letztes Auftreten!« scherzte er vor seinem Kreise. »Er bringt Trochus Ordonnanzoffizier Comte d'Hérisson mit, ferner einen alten General, der etwas verdreht sich benimmt, und dessen Adjutanten. Wir werden etwas Theatralik
Weitere Kostenlose Bücher