Bismarck 02
Luther in Worms. O Deutschland! Und wenn die Welt voll Teufel wär' und wollt' uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen.
*
Thiers und Favre warteten wie Angeklagte, die auf den Urteilsspruch warten. Sie schauten auf die Uhr und folgten seufzend dem Zeiger mit teils sehnsüchtigen, teils bangenden Blicken. Ottos hohe Gestalt füllte plötzlich die Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und sagte halb boshaft, halb bedächtig: »Wir schenken Ihnen den Einmarsch in Paris, vorausgesetzt daß Sie Belfort geben.«
Das war genau das Entgegengesetzte, was vorhin vereinbart, doch der große Diplomat wußte was er tat. Die Bevollmächtigten tauschten einen Blick aus, sie verstanden sich. Thiers sprach:
»Nichts wird dem Gram der ewigen Stadt, Paris, gleichkommen, wenn sie ihre unbezwungenen Tore (!) dem Feinde öffnen muß, der sie nicht erbrechen konnte(!). Deshalb beschworen wir Sie, uns diese unverdiente unaussprechliche Qual zu ersparen. Doch wir werden den Kelch der Bitternis bis zur Hefe leeren, wenn wir der Nation einen Flecken vom heiligen Boden des Vaterlandes und eine Heldenstadt retten. Wir danken Ihnen, Herr Graf, für diese Gelegenheit, unsere Opfer noch mehr zu veredeln (!). Der Kummer von Paris wird die Lösesumme für Belfort sein, das wir nun hartnäckiger als je für uns fordern.« Bravo, Franzosen! Immer große Phrasen und immer praktisch!
Otto lächelte wohlwollend. »Bedenken Sie es wohl, vielleicht werden Sie die Ablehnung unseres Angebots bereuen.«
»Wir würden unserer Patriotenpflicht ermangeln, wenn wir es täten.«
»Dann muß ich General Moltke nochmals sprechen und dann den König.«
Er ließ Thiers bis acht Uhr abends zappeln, nachdem er gemütlich sein Diner einnahm. »Sie haben den Lohn Ihrer heroischen Anstrengungen, Sie haben Belfort gerettet«, schluchzte Favre in Anbetung vor Thiers. Der künftige Präsident der Republik stand in edler Pose da. Er hatte viel Wichtigeres gerettet: seine Präsidentschaft. »Mein blutendes Herz ist gebrochen«, bekannte er dem jammervollen Julius, als er drei Stunden auf die Unterzeichnung der Präliminarien warten mußte. Als Bismarck nach Verlesung und Vergleichung der Dokumente sagte:
»Ich werde nun meine Kollegen von Bayern, Württemberg, Baden hereinrufen, um mit zu unterzeichnen«, lächelte Thiers mit himmlischer Ergebung in ein unerbittliches Schicksal und raunte Favre zu: »Die Statisten! Nicht freier als wir!« Allerdings sollte der absichtlich hochmütige Ton, mit dem Otto die drei Süddeutschen aufforderte, den Vertrag zu hören und zu unterzeichnen, den Franzosen begreiflich machen, daß jetzt ein Deutscher Kaiser regierte. Die Süddeutschen machten keine einzige Bemerkung und unterzeichneten. Und doch gab es früher einen Augenblick in den Kaiserverhandlungen, über den Bleibtreu, das geniale Bild Lenbachs in der Berliner Nationalgallerie betrachtend, aus der Fülle seiner Erinnerungen äußerte: »So sah er zwar gewöhnlich nie aus, doch Lenbach malt eben das Innerste. Denn geradeso sah er aus, als er sich mal in der Tür umdrehte und den bayrischen Ministerpräsidenten Graf Bray gleichsam mit einem Blick umfaßte, von Kopf bis zu den Füßen ansah. Das Auge wurde ganz weiß unter den furchtbaren Brauen, es war ein Anblick zum Erschrecken. Graf Bray knickte förmlich zusammen.«
Diesmal strahlte er vor Freude und rief Hatzfeld zu: »Jetzt die goldene Feder!« Die badische Stadt Pforzheim, immer voll braver Deutschheit, stiftete ihm diese Ehrengabe, und er hatte gedankt: In seinen Händen, so helfe ihm Gott, werde sie nichts schreiben, was dem deutschen Schwert zum Nachteil gereiche – in Erinnerung an das herrliche Wort Blüchers. Echtfranzösisch flüsterte Favre seinem Gebieter Thiers ins Ohr: »Theatralischer Pomp!«
Denn boshafte witzige Medisance paart sich beim Franzosen mit bombastischer Theatralik, und wenn er beim Gegner nur das Geringste bemerkt, was seine »feine« Ironie herausfordern könnte, schwupp sticht er zu. Bei diesem unbegreiflichen Volke konnte ein Phrasenkolossus wie Victor Hugo als erhabener Seher angestaunt, im gleichen Atem aber vom Esprit Gaulios beißend bewitzelt werden. Wahrscheinlich hängt das Problematische im französischen Nationalcharakter, wie er scheinbar einheitlich auftritt, mit Rassenmischung zusammen. Tartarin von Tarascon schwelgt in Tartarennachrichten, der Pariser Gamin verkündet feierlich: »Großer Sieg der Franzosen, gewonnen von den
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