Bismarck 02
Deutschen.« An einem Tag reißt der Franzose schnöde Witze über V. Hugo und seine Burggrafen – nie waren Sterbliche greiser und weiser –, am nächsten leckt er ehrfürchtig die Stiefel des Phrasenmeisters. Nicht allein wegen der Phrase, da tun die Deutschen ihm unrecht, sondern weil er » finement parler « über alles schätzt, die glänzende Form der Phrase. Ungerecht und daher undeutsch wäre es zu leugnen, wie sehr die französische Artistik für sich einnimmt, zum unendlichen politischen Nutzen der Gallier und durch den traurigen Gegensatz zum unendlichen Schaden der Deutschen im Urteil des Auslands. Nur ein Deutscher hält einen Kathederprofessor, der dummes Zeug über Ästhetik schwatzt, für bedeutender als einen Dichter, nur ein Deutscher hält einen öden Bureaukraterich mit zwanzig Orden für ein großes Tier und einen großen Künstler für einen Mann »der freien Berufe«, die nicht durch staatliche Abstempelung gesellschaftsfähig. Wenn einem Provinzialfranzosen ein Herr gezeigt wird: »Ein Autor!«, so zieht er den Hut, in Paris bildet sich ein Auflauf. In ähnlichem Falle sagt ein Provinzialdeutscher: »Auch so einer, der keinen soliden Beruf hat« und ein Berliner: »Ich glaube, der verdient nicht viel.« Denn nur die Theatertantiémen des goldenen Handwerks, das in Deutschland Literatur bedeutet, imponieren ihm. Als Georg Bleibtreu auf einem seiner einsamen Auskundungsgänge vor Paris von einem großen Leiterwagen überholt wurde, befahlen ihm dessen Insassen barsch einzusteigen. Was er hier triebe? Spion? Er zeigte sein Skizzenbuch. » Ah, peintre artiste! C'est joli, trez joli! Mais, vraiment, c'est merveilleux! « Er hörte die Chassepots unter dem Stroh rascheln, er sah die weißen Hände der Führer, er glaubte sein letztes Stündlein gekommen. Die Franktireurs tuschelten, der Führer sprach: »Monsieur, Sie haben sich verirrt, Sie sind in den französischen Linien. Doch Frankreich ehrt die Künstler. Wir werden Sie in den deutschen Linien in Sicherheit absetzen.« Die Leute gingen aus ihrem Wege, sie setzten sich möglichenfalls in Gefahr, doch sie taten es. »Adieu, Monsieur! Gott geleite Sie! Erfreut, die Bekanntschaft eines großen Künstlers zu machen!«
Das kulturell reifste Land der Erde muß sich so vor Frankreich blamieren, wenn es sich um Würdigung künstlerischen Schaffens handelt! Daran soll der Militarismus schuld sein? Lüge! Auch nicht die Bureaukratie. Beide legen den größten Wert darauf, gebildet zu scheinen, und wenn mal ein Offizier sich überhebend und unpassend aufführt, dann ist's sicher ein geadelter Bürgerlicher, niemals ein Junker. Die Prinzen und Grafen der Garde du Corps sind die feinsten Gentlemen. Nein, dieser banausische böotische Mangel an geziemender Ehrfurcht vor geistigen Werten steckt in der Masse dieser deutschen Nation, die sich mit vollem Recht als die gebildetste des Weltalls fühlt. Wenn die deutschen Juden nicht wären, würde in Deutschland jede Schätzung der höheren Kultur unmöglich werden, nicht umsonst hatte der Antisemit Richard Wagner seine glühendsten Bewunderer unter den Juden, obschon ursprünglich alle jüdischen Journalisten mit Rasseninstinkt gegen ihn Front machten. Aber leider oder selbstverständlicherweise folgen die Juden dem Erfolginstinkt, einer durchaus undeutschen Artung, und wittern genau: wo der endliche materielle Erfolg blüht. Das Schauspielerische und Effekthaschende im Wagner zog sie an. Doch sei dem wie ihm wolle, die Deutschen werden allzeit Kleist die Pistole in die Hand drücken und dann sentimental zu seinem Grabe pilgern. Und war Otto der Große ganz frei vom ekelhaften Nationallaster? Der allgemeinen Wurschtigkeit entsprach freilich Haß gegen ödes entnervtes Ästhetentum, man kann begreifen, daß er sich um Wagner nicht kümmerte. »Er wollte immer bewundert sein, dazu hatte ich keine Zeit.« Er fand später viel mehr Zeit dazu, als ihm lieb war. Er las Stindes Buchholzen und Gaboriaus Detektivromane, weil er nur noch amüsiert sein wollte. Daß er auf der höchsten Zinne universaler Bildung und Literaturkenntnis thronte, wie nie ein anderer Tatenmensch, brauchten die Ästheten nicht zu wissen. Aber das hat sich furchtbar und lächerlich gerächt. Seinen Feinden gab er die Handhabe, er sei ein roher Realpolitiker, und das Beifallsgeheul aller byzantinischen Machtanbeter und Staatsstreber, die in ihm ein Idol ihres unfruchtbaren Banausentums verehrten, klang ihm mißtönig im Ohre. Und seins ist
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