Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
einzige Geräusch außer unserem ruhigen Atem war das leise Pling, Pling, als die winzigen Glassplitter einer nach dem anderen auf den Tisch fielen.
»Wie schaffst du das?«, wollte ich wissen. »Selbst Alice und Esme …« Ich ließ den Satz in der Luft hängen und schüttelte verwundert den Kopf. Obwohl die anderen der üblichen Ernährungsweise von Vampiren ebenso radikal abgeschworen hatten wie Carlisle, war er doch der Einzige, der den Geruch meines Bluts ertragen konnte, ohne unter der enormen Versuchung zu leiden. Garantiert war die Situation für ihn sehr viel schwieriger, als es den Anschein hatte.
»Jahrelange Übung«, sagte er. »Ich nehme den Geruch kaum noch wahr.«
»Glaubst du, es wäre schwerer, wenn du länger nicht im Krankenhaus wärst und nichts mit Blut zu tun hättest?«
»Vielleicht.« Er zuckte die Schultern, aber seine Hände blieben ruhig. »Ich hatte noch nie das Bedürfnis nach einem längeren Urlaub.« Er lächelte mich strahlend an. »Dafür macht mir meine Arbeit zu viel Spaß.«
Pling, pling, pling . Ich war erstaunt, wie viele Splitter in meinem Arm steckten. Ich hätte gern einmal kurz geguckt, wie das Häufchen anwuchs, aber ich wollte mich ja nicht übergeben, und da wäre das auf jeden Fall kontraproduktiv gewesen.
»Was macht dir daran denn Spaß?«, fragte ich. Mir kam das absurd vor – wie viele Jahre Kampf und Selbstverleugnung musste es ihn gekostet haben, bis er diese Arbeit so mühelos ertragen konnte! Außerdem wollte ich, dass er weiterredete; die Unterhaltung lenkte mich von dem mulmigen Gefühl im Magen ab.
Als er antwortete, war sein Blick ruhig und nachdenklich. »Hmm. Das Schönste ist für mich, wenn meine … besonderen Fähigkeiten es mir erlauben, jemanden zu retten, der sonst verloren wäre. Es tut gut zu wissen, dass ich dazu beitragen kann, das Leben mancher Menschen zu verbessern. Und mein Geruchssinn ist bisweilen sogar sehr hilfreich bei der Diagnose.« Er verzog einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln.
Während er meinen Arm noch einmal ganz genau untersuchte, um sicherzugehen, dass er alle Splitter entfernt hatte, grübelte ich über seine Worte nach. Dann kramte er in seiner Tasche nach weiteren Instrumenten und ich versuchte nicht an Nadel und Faden zu denken.
»Du gibst dir große Mühe, etwas wiedergutzumachen, an dem du gar nicht schuld bist«, sagte ich, während ich ein neues schmerzhaftes Ziehen an der Haut spürte. »Ich meine, du wolltest doch gar nicht so sein.«
»Ich wüsste nicht, dass ich versuche etwas wiedergutzumachen«, widersprach er. »Ich musste mich einfach entscheiden, was ich mit dem, was mir gegeben war, anfangen wollte, so ist das im Leben.«
»Das klingt aber zu einfach.«
Er untersuchte meinen Arm noch einmal. »So«, sagte er und durchtrennte einen Faden. »Fertig.« Er strich mit einem überdimensionierten Wattestäbchen, das mit einer sirupfarbenen Flüssigkeit getränkt war, gründlich über die Wunde. Es roch merkwürdig und mir wurde schwindlig. Der Sirup brannte auf der Haut.
»Jedenfalls am Anfang«, bohrte ich nach, während er ein langes Stück Mull auf die Wunde drückte und festklebte. »Wie bist du überhaupt darauf gekommen, einen anderen Weg einzuschlagen als den naheliegendsten?«
Seine Lippen formten sich zu einem feinen Lächeln. »Hat Edward dir die Geschichte nicht erzählt?«
»Doch. Aber ich versuche zu verstehen, was du gedacht hast …«
Plötzlich war seine Miene wieder ernst, und ich fragte mich, ob er an dasselbe dachte wie ich. Daran, was ich wohl denken würde, wenn ich in derselben Situation wäre – ich weigerte mich, war zu denken.
»Du weißt, dass mein Vater ein Geistlicher war«, sagte er nachdenklich, während er den Tisch zweimal gründlich mit nassem Mull abwischte. Der Geruch von Alkohol brannte mir in der Nase. »Er hatte eine recht strenge Weltanschauung, die ich bereits vor meiner Verwandlung in Zweifel zu ziehen begann.« Carlisle sammelte den blutigen Mull und die Glassplitter in einer leeren Kristallschale. Selbst als er ein Streichholz anzündete, begriff ich noch nicht, was er vorhatte. Dann ließ er das Streichholz auf den alkoholgetränkten Stoff fallen. Eine kleine Stichflamme schoss empor, und ich zuckte zusammen.
»Entschuldigung«, sagte er. »Das sollte genügen … Mit dem Glauben, wie mein Vater ihn pflegte, hatte ich also nie übereingestimmt. Und doch hat mich in den nahezu vierhundert Jahren seit meiner Geburt nichts je daran zweifeln lassen,
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