Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
dass es Gott in der einen oder anderen Form gibt. Nicht einmal meine eigene Existenz.«
Ich tat so, als würde ich meinen Verband betrachten, um meine Überraschung über die Wendung des Gesprächs zu verbergen. Religion hätte ich in Anbetracht der Umstände am wenigsten erwartet. In meinem eigenen Leben spielte der Glaube eigentlich keine Rolle. Charlie betrachtete sich als Lutheraner, weil seine Eltern das auch gewesen waren, aber sonntags hielt er Gottesdienst am Fluss mit einer Angel in der Hand. Renée versuchte es hin und wieder mit der Kirche, aber ebenso wie ihre flüchtigen Affären mit Tennis, Töpfern, Yoga und Französisch war diese Laune auch schon wieder vorüber, ehe ich sie mitbekommen hatte.
»Das alles klingt aus dem Munde eines Vampirs gewiss etwas absurd.« Er grinste, weil er wusste, dass es mich immer noch schockierte, wenn sie das Wort so beiläufig benutzten. »Doch ich hoffe, dass dieses Leben noch einen Sinn hat, selbst für uns. Es ist sehr gewagt, das gebe ich zu«, fuhr er leichthin fort. »Wir sind vermutlich ohnehin verdammt. Doch auch, wenn es vielleicht töricht ist, so hoffe ich, dass man uns den Versuch bis zu einem gewissen Grad anrechnen wird.«
»Ich glaube nicht, dass das töricht ist«, murmelte ich. Ich konnte mir niemanden vorstellen, Gott eingeschlossen, der von Carlisle nicht beeindruckt wäre. Außerdem könnte ich nur einen Himmel akzeptieren, zu dem auch Edward Zutritt hätte. »Und das glaubt bestimmt auch sonst keiner.«
»Ehrlich gesagt bist du die Allererste, die meiner Meinung ist.«
»Sehen die anderen das nicht so?«, fragte ich überrascht und dachte dabei nur an einen Bestimmten.
Wieder erriet Carlisle, in welche Richtung meine Gedanken gingen. »Edward stimmt mir bis zu einem bestimmten Punkt zu. Es gibt einen Gott und einen Himmel … und eine Hölle. Aber er glaubt nicht, dass es für unseresgleichen ein Leben nach dem Tod gibt.« Carlisle sprach sehr leise, er starrte aus dem großen Fenster über dem Waschbecken in die Finsternis. »Verstehst du, er glaubt, wir hätten unsere Seele verloren.«
Sofort dachte ich an Edwards Worte von heute Nachmittag: Es sei denn, man will sterben – oder was auch immer unsereins dann tut. Die Glühbirne über meinem Kopf wurde eingeschaltet.
»Darum geht es ihm eigentlich, oder?«, sagte ich. »Deshalb macht er solche Probleme, was mich angeht.«
Carlisle sprach langsam. »Ich schaue ihn an, meinen … Sohn . Seine Kraft, seine Güte, was für einen Geist er versprüht … und das bestärkt mich umso mehr in meiner Hoffnung und meinem Glauben. Es ist undenkbar, dass für jemanden wie Edward danach nichts mehr kommen sollte.«
Ich nickte heftig.
»Aber wenn ich glauben würde, was er glaubt …« Sein Blick war unergründlich, als er mich ansah. »Wenn du das glauben würdest – könntest du ihm seine Seele rauben?«
Dass er die Frage so stellte, machte eine Antwort unmöglich. Hätte er gefragt, ob ich meine Seele für Edward aufs Spiel setzen würde, wäre die Antwort einfach gewesen. Aber würde ich Edwards Seele aufs Spiel setzen? Ich verzog unglücklich den Mund. Das war eine gemeine Frage.
»Du siehst, wo das Problem liegt.«
Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass ich das Kinn eigensinnig vorgereckt hatte.
Carlisle seufzte.
»Es ist meine Entscheidung«, beharrte ich.
»Es ist auch die seine.« Er hob die Hand, als ich widersprechen wollte. »Er trägt die Verantwortung, wenn er dir das antut.«
»Er ist nicht der Einzige, der es machen kann.« Ich sah Carlisle forschend an.
Er lachte, und die ernste Stimmung war augenblicklich durchbrochen. »O nein! Das musst du schon mit ihm aushandeln.« Aber dann seufzte er. »Das ist die Frage, die ich mir nie eindeutig beantworten kann. Ich glaube, dass ich aus dem, was mir zur Verfügung stand, größtenteils das Beste gemacht habe. Aber war es richtig, die anderen zu diesem Leben zu verdammen? Das vermag ich nicht zu sagen.«
Ich gab keine Antwort. Ich stellte mir vor, wie mein Leben aussähe, wenn Carlisle der Versuchung widerstanden hätte, sein einsames Leben zu verändern … und schauderte.
»Mein Entschluss ist Edwards Mutter geschuldet.« Carlisles Stimme war jetzt kaum mehr als ein Flüstern. Er starrte zum Fenster hinaus ins Leere.
»Seiner Mutter?« Wenn ich Edward nach seinen Eltern fragte, sagte er immer nur, dass sie vor langer Zeit gestorben seien und dass er sich kaum noch an sie erinnern könnte. Jetzt begriff ich, dass Carlisle sich
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