Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
makellosen Kreis zu formen, die Bäume herausgerissen, ohne in dem wogenden Gras eine Spur dieses Gewaltakts zu hinterlassen. Von Osten her hörte ich leise den Fluss plätschern.
Ohne Sonnenschein war die Lichtung längst nicht so beeindruckend, aber sie war trotzdem sehr schön und friedlich. Für Wildblumen war es nicht die richtige Jahreszeit, der Boden war dicht mit hohem Gras bewachsen, das in der leichten Brise wehte wie ein See, der sich im Wind kräuselt.
Es war derselbe Ort … doch er hielt nicht das, was ich mir von ihm versprochen hatte.
Die Enttäuschung traf mich fast sofort. Ich sackte zusammen und kniete keuchend am Rand der Lichtung.
Wozu noch weitergehen? Hier war nichts zu finden. Nichts als die Erinnerungen, die ich jederzeit herbeirufen könnte, wenn ich bereit wäre, den dazugehörigen Schmerz zu ertragen. Und der Schmerz, der mich jetzt übermannte, traf mich mit voller Wucht. Ohne ihn hatte dieser Ort nichts Besonderes. Ich wusste nicht genau, was ich hier zu spüren gehofft hatte, aber die Lichtung war verlassen und leer wie jener andere Ort. Es war wie in meinen Albträumen. In meinem Kopf drehte sich alles.
Wenigstens war ich allein gekommen. Als mir das bewusst wurde, war ich dankbar. Wenn ich die Lichtung mit Jacob zusammen entdeckt hätte … dann hätte ich nicht vor ihm verbergen können, in welch einen Abgrund mich das stürzte. Wie hätte ich ihm erklären sollen, dass ich in Stücke zerfiel, dass ich mich ganz fest zusammenrollen musste, damit das Loch mich nicht auseinanderriss? Ich war froh, keine Zuschauer zu haben.
Und ich brauchte auch niemandem zu erklären, warum ich es so eilig hatte, wieder fortzukommen. Jacob hätte erwartet, dass ich nach all den Mühen, diese blöde Lichtung zu finden, länger hierbleiben wollte als ein paar Sekunden. Aber ich versuchte schon wieder auf die Füße zu kommen und mich aufzurappeln, um zu fliehen. Von diesem leeren Ort ging mehr Schmerz aus, als ich ertragen konnte – wenn es sein musste, würde ich eben davonkriechen.
Wie gut, dass ich allein war!
Allein. Mit grimmiger Befriedigung wiederholte ich das Wort, als ich mich trotz der Schmerzen zum Aufstehen zwang. Genau in dem Moment trat etwa dreißig Schritte nördlich von mir jemand aus dem Wald.
Ein Wirbelsturm der Gefühle stürzte innerhalb einer Sekunde auf mich ein. Im ersten Moment war ich überrascht, ich war fernab von allen Wanderwegen und hatte nicht damit gerechnet, jemandem zu begegnen. Als ich die reglose Gestalt dann näher betrachtete und die völlige Starre und die bleiche Haut registrierte, durchzuckte mich die Hoffnung. Wütend unterdrückte ich sie und kämpfte gegen den ebenso heftigen Schmerz an, der mich überkam, als ich das Gesicht unter dem schwarzen Haar sah und erkannte, dass es nicht das Gesicht war, das ich zu sehen gehofft hatte. Dann kam die Angst; zwar war das hier nicht das Gesicht, um das ich trauerte, aber doch so ähnlich, dass ich wusste: Der Mann dort ist kein verirrter Wanderer.
Und da endlich erkannte ich ihn.
»Laurent!«, rief ich freudig überrascht.
Das war eine unlogische Reaktion. Ich hätte bei der Angst Halt machen sollen.
Als wir uns kennenlernten, hatte Laurent zu James’ Zirkel gehört. An der Jagd hatte er sich damals nicht beteiligt – an der Jagd auf mich –, aber nur, weil er Angst hatte: Die Gruppe, unter deren Schutz ich stand, war größer als seine. Sonst hätte es anders ausgesehen – er hätte damals keinerlei Bedenken gehabt, seinen Durst an mir zu stillen. Inzwischen hatte er sich natürlich verändert; er war ja nach Alaska gegangen und hatte dort bei dem anderen zivilisierten Clan gelebt, bei der anderen Familie, die aus ethischen Gründen kein Menschenblut trank. Wie die … aber ich brachte es nicht über mich, ihren Namen zu denken.
Ja, Angst wäre das logischere Gefühl gewesen, aber ich empfand nur eine überwältigende Befriedigung. Jetzt war die Lichtung wieder ein verzauberter Ort. Es war ein dunklerer Zauber als der, den ich erwartet hatte, aber doch ein Zauber. Hier war die Verbindung, nach der ich gesucht hatte. Der wenn auch sehr entfernte Beweis dafür, dass es ihn in der Welt, in der ich lebte, irgendwo gab.
Laurent sah noch haargenau so aus wie beim letzten Mal. Wahrscheinlich war es albern und sehr menschlich zu denken, er müsste sich im Laufe des Jahres verändert haben. Aber da war etwas … ich kam nicht darauf, was es war.
»Bella?«, fragte er. Er wirkte überraschter als ich.
»Das
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