Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
natürlich auch später gekommen sein, weil sie den Proviant gerochen haben … Jedenfalls wollen sie jetzt Fallen aufstellen.«
»Aha«, sagte ich unbestimmt. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu; die Situation mit Jacob machte mir mehr zu schaffen als die Möglichkeit, von einem Bären gefressen zu werden.
Ich war froh darüber, dass Charlie es eilig hatte. Er wartete nicht ab, bis ich Jessica anrief, also musste ich kein Theater spielen. Stattdessen tat ich so, als würde ich meine Schulbücher zusammensuchen, um sie in die Tasche zu packen; das war fast zu viel des Guten, und wäre Charlie nicht so versessen darauf gewesen, endlich loszukommen, hätte es vielleicht sein Misstrauen geweckt.
Ich war so beschäftigt damit, beschäftigt zu wirken, dass der schrecklich leere Tag, der vor mir lag, erst auf mich einstürzte, als ich Charlie wegfahren sah. Ich brauchte nur zwei Minuten auf das stumme Telefon in der Küche zu starren, bis mein Entschluss feststand, nicht zu Hause zu bleiben. Ich überlegte, was ich machen könnte.
Jessica anzurufen kam nicht in Frage. Offenbar war sie zur anderen Seite übergelaufen.
Ich könnte nach La Push fahren und mein Motorrad holen – ein reizvoller Gedanke bis auf ein kleines Problem: Wer sollte mich anschließend in die Notaufnahme bringen?
Oder … die Karte und der Kompass waren schon in meinem Transporter. Ich glaubte das Prinzip so weit verstanden zu haben, dass ich mich nicht verlaufen würde. Vielleicht konnte ich heute zwei weitere Linien des Gitternetzes ausschließen, und dann wären wir, wenn Jacob mich denn irgendwann mal wieder mit seiner Gegenwart zu beehren gedachte, wieder ein Stück weiter. Ich weigerte mich, darüber nachzudenken, wann das sein würde. Oder ob es überhaupt jemals sein würde …
Ich hatte ganz leichte Gewissensbisse, als ich daran dachte, was Charlie dazu sagen würde, aber die schob ich beiseite. Ich konnte heute nicht schon wieder zu Hause hocken.
Ein paar Minuten später war ich auf der inzwischen vertrauten Straße. Ich hatte die Fenster heruntergekurbelt, fuhr, so schnell mein Transporter es erlaubte, und versuchte den Wind im Gesicht zu genießen. Es war bewölkt, aber fast trocken – für Forks ein richtig schöner Tag.
Für die Vorbereitungen brauchte ich länger als Jacob. Nachdem ich an der üblichen Stelle geparkt hatte, musste ich eine gute Viertelstunde die kleine Kompassnadel und die Markierungen auf der inzwischen abgegriffenen Karte studieren. Als ich mir einigermaßen sicher war, dass ich der richtigen Linie des Gitternetzes folgte, machte ich mich auf den Weg in den Wald.
Heute schienen alle Tiere im Wald unterwegs zu sein, so als freuten sie sich darüber, dass es ausnahmsweise trocken war. Aber trotz der zwitschernden und krächzenden Vögel, der Insekten, die mir lärmend um den Kopf surrten, und der Feldmäuse, die hin und wieder durchs Gebüsch huschten, wirkte der Wald heute irgendwie unheimlicher als sonst; er erinnerte mich an meinen letzten Albtraum. Das lag natürlich nur daran, dass ich allein unterwegs war; ich vermisste Jacobs sorgloses Pfeifen und das Geräusch von zwei weiteren Füßen, die über den feuchten Boden stapften.
Das Unbehagen wuchs, als ich tiefer in den Wald eindrang. Das Atmen wurde schwerer – nicht wegen der Anstrengung, sondern weil mir das blöde Loch in der Brust wieder Probleme bereitete. Ich schlang die Arme fest um den Körper und versuchte den Schmerz zu verbannen. Fast hätte ich wieder kehrtgemacht, aber der Gedanke, dass die ganze Anstrengung umsonst gewesen sein sollte, widerstrebte mir zu sehr.
Während ich weitermarschierte, betäubte der Takt meiner Schritte allmählich meine Gedanken und auch den Schmerz. Schließlich wurde mein Atem wieder regelmäßig, und ich war froh, dass ich nicht aufgegeben hatte. Ich wurde langsam besser darin, mich durchs Dickicht zu schlagen, und kam jetzt schneller voran.
Ich merkte gar nicht richtig, wie viel schneller ich vorankam. Nach meiner Schätzung hatte ich erst ungefähr sechs Kilometer zurückgelegt und hatte noch nicht angefangen, nach der Lichtung zu suchen. Da zwängte ich mich durch den Farn, der mir hier bis zur Brust ging, trat durch einen niedrigen Bogen aus zwei Weinblattahornbäumen und landete schwindelerregend plötzlich auf der Lichtung.
Es war dieselbe Lichtung, das wusste ich sofort. Ich hatte noch nie eine andere Lichtung gesehen, die so symmetrisch war. Sie war so rund, als hätte jemand in der Absicht, einen
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