Bitte Einzelzimmer mit Bad
Kaffeewärmer. Übrigens gehe ich nicht ins Theater, ich fahre nach Frankfurt.«
»Mußt du da ein Interview machen?« Frau Pabst hatte noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, eines Tages Tinchens Foto in der Zeitung zu finden und darunter die Überschrift: Unsere Chefreporterin berichtet. Auch Frau Freitag, ihre Busenfreundin aus dem Nebenhaus, hatte schon vor längerer Zeit prophezeit, daß das Tinchen noch einmal Karriere machen würde. Die Karten lügen bekanntlich nicht, und der dunkle Herr hatte direkt über der Herzdame gelegen, gleich neben der Geldkarte.
»Nein, Mutsch, ich bin bloß so eine Art Botenjunge. Ich soll in Frankfurt etwas abholen.« Stur blickte Tinchen auf ihren Teller.
Zu Hause schwindelte sie gar nicht gern, aber solange die Angelegenheit mit den Schmetterlingen noch in der Luft hing, wollte sie lieber nichts davon erzählen. Schon gar nicht ihrer Mutter. Dazu war später immer noch Zeit genug.
Frau Pabst sah sich unvermutet wieder in die profane Wirklichkeit versetzt und dachte sofort an das Nächstliegende. »Dann werde ich dir am besten ein paar Eier kochen und ein Schüsselchen Kartoffelsalat fertigmachen. Ein bißchen Obst solltest du auch mitnehmen, aber keine Bananen, die zerdrücken so leicht.«
»Also Mutsch, ich mache doch keine Pilgerreise durchs Sauerland. Ich fahre mit dem D-Zug nach Frankfurt!«
»Und wenn schon. In der Bahn kriegt man doch immer Hunger!«
»Dafür gibt es einen Speisewagen.«
»Warum willst du unnütz Geld ausgeben?« protestierte Frau Pabst, aber als sie das Gesicht ihrer Tochter sah, zog sie es doch vor, weitere Menüvorschläge für sich zu behalten. »Dann nimm wenigstens eine Thermoskanne Tee mit!« Aber auch diese Anregung wurde mit einem beredten Schweigen quittiert.
Antonie Pabst geborene Marlowitz verstand ihre Tochter nicht. Dankbar sollte das Mädel sein, weil sich jemand um den Reiseproviant kümmerte. Früher war man froh gewesen, wenn man überhaupt etwas Eßbares mitnehmen konnte. Speisewagen! Da konnte sie ja nur lachen!
Vielleicht sollte man erwähnen, daß Frau Antonies Erfahrungen mit der Deutschen Bundesbahn, die damals noch Reichsbahn geheißen hatte, aus der Kriegs- sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit stammten und alles andere als erfreulich waren.
Ursprünglich in Posen beheimatet, war sie 1945 zusammen mit ihrer verwitweten Mutter ›ins Reich‹ geflohen. Als Beförderungsmittel hatten überwiegend Güterwagen gedient, und die Verpflegung hatte man sich auf irgendeine Art selbst beschaffen müssen. Rohe Karotten sind zwar gesund, als Hauptnahrung aber nicht eben befriedigend.
Was hätte Antonie damals nicht für ein saftiges Schnitzel gegeben … (Heute dagegen raspelte sie wieder Mohrrüben, weil sie in späteren Jahren entschieden zu viele Schnitzel gegessen hatte.)
Den nicht propagierten Endsieg der Alliierten hatte sie jedenfalls in Berlin erlebt, wo es eine entfernte Kusine zweiten Grades gegeben hatte, die in irgendwelche höheren Kreise eingeheiratet und standesgemäß am Wannsee gewohnt hatte. Den Wannsee hatte Frau Marlowitz gefunden, schließlich auch das Haus, oder besser das, was davon übriggeblieben war. Die Kusine hatte es noch rechtzeitig vorgezogen, das Familiensilber und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Sie war ins Allgäu getürmt.
In Ermangelung eines geeigneteren Quartiers bezog Frau Marlowitz den noch halbwegs intakten Keller des ehemals herrschaftlichen Hauses und erlebte hier nun doch den Einmarsch der Russen, vor dem sie ja eigentlich geflohen war. Tochter Antonie, die außer Klavierspielen und französischer Konversation nichts von dem gelernt hatte, was in der gegenwärtigen Situation einigermaßen nützlich gewesen wäre, sah sich trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre außerstande, sich und ihre Mutter irgendwie durchzubringen. Normalerweise wäre sie als Kanzleiratswitwentochter ja schon längst mit einem Beamten in gehobenerer Position verheiratet gewesen – nicht umsonst hatte es bereits zwei akzeptable Bewerber gegeben, aber man hatte deren berufliche Karriere rücksichtslos unterbrochen und sie in Uniformen gesteckt. Der Himmel mochte wissen, wo sie abgeblieben waren.
Bevor die letzten Karotten aufgegessen und die beiden noch verbliebenen Abkömmlinge derer von Marlowitz verhungert waren, entsann sich die verwitwete Frau Kanzleirat jener Pensionatsfreundin, die einen in Düsseldorf ansässigen Uhrmacher namens Gfreiner geheiratet hatte. Wieder ein Ziel vor Augen, erwachten in Frau
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