Bitte Einzelzimmer mit Bad
und erfüllten somit den letzten Wunsch des nunmehr Verblichenen.
Frau Gfreiner, die von Uhren lediglich wußte, daß sie meistens falsch gingen, überließ die Fortführung des Geschäfts dem bisherigen Mitarbeiter ihres Mannes, einem gewissen Ernst Pabst, der bei Herrn Gfreiner selig als Lehrling angefangen hatte. Herr Pabst verstand entschieden mehr von Uhren als seine derzeitige Chefin; vor allen Dingen wußte er, daß man sie zweckmäßigerweise vor den kommenden Siegern in Sicherheit bringen sollte – wer immer das letzten Endes auch sein würde. Also beschaffte er stabile Behälter, darunter auch mehrere leere Munitionskisten, und stopfte sie voll mit Uhren jeglicher Größe, einschließlich einer auseinandergenommenen Standuhr mit Westminsterschlag. Dann versteckte er die Schatztruhen im Keller unter den Resten der letzten Kohlenzuteilung. Das nun leere Schaufenster dekorierte er mit Fieberthermometern sowie einem leicht verbogenen und daher unbrauchbaren Mikroskop.
Fortan reparierte er nur noch Uhren, und als die Ersatzteile alle waren, tat er gar nichts mehr, lebte die letzten paar Wochen vom Ersparten und wartete auf den Endsieg. In Reichweite lagen immer die beiden Krücken, die er zwar nicht brauchte, weil er trotz seines verkürzten Beines ausgezeichnet laufen konnte, die ihn aber davor bewahrten, in letzter Minute noch von den Rollkommandos zum Volkssturm geholt zu werden.
Etwa zwei Monate nach dem Zusammenbruch hielt Ernst Pabst es für angebracht, das Geschäft des Herrn Gfreiner selig wieder zu eröffnen, vorerst allerdings nur als Reparaturwerkstatt. Aber schon wenig später grub er einen Teil der versteckten Schätze aus und verkaufte sie gegen Naturalien. Seine Kunden waren überwiegend Besatzungssoldaten, die bereitwillig in der allgemein üblichen Zigarettenwährung zahlten und immer noch ein gutes Geschäft dabei machten.
Frau Gfreiner, die dank alliierter Hilfe bereits Bohnenkaffee trinken konnte, als die meisten anderen Deutschen nicht mal Muckefuck hatten, bot ihrem talentierten Geschäftsführer die Teilhaberschaft an und überließ es künftig ihm, für ihr leibliches Wohl zu sorgen. Zum Dank durfte er sich aus dem Kleiderschrank ihres verstorbenen Mannes bedienen. Wenn die Anzüge auch nicht unbedingt dem Geschmack eines Zweiunddreißigjährigen entsprachen, so waren sie doch noch sehr gut erhalten und überdies von erster Qualität. Ernst Pabst kannte einen Schneider, der am liebsten Virginiatabak rauchte, und so war auch die Garderobenfrage fürs erste gelöst.
In dieses sichtbar aufblühende Geschäft platzte nun die verwitwete Frau Kanzleirat Marlowitz nebst Tochter Antonie, letztere durchaus ansehnlich und – wie sich bald herausstellte – auch recht geschickt. Aus den anfänglichen Handlangerdiensten wurde schnell produktive Mitarbeit, und bald konnte Ernst Pabst auf seine ›Gesellin‹ gar nicht mehr verzichten. Außerdem sprach sie besser Englisch als er selber, was die manchmal komplizierten Verkaufsverhandlungen mit den Besatzern wesentlich abkürzte.
Antonie wiederum bewunderte ihren Brötchengeber, der alles das hatte, was ihr selbst fehlte: Unternehmungsgeist, Tatkraft, Humor und eine jungenhafte Unbekümmertheit. Auch die verwitwete Frau Kanzleirat betrachtete den jungen Mann wohlwollend, zumal er ihr nicht nur regelmäßig Bohnenkaffee brachte, sondern hin und wieder auch einen Blumenstrauß. Wer in dieser materialistischen Zeit an solche Artigkeiten dachte, verdiente ein gewisses Entgegenkommen. Und im übrigen war ja nun wirklich nichts dabei, wenn dieser nette Herr Pabst das Fräulein Antonie ins Kino einlud.
Natürlich blieb es nicht beim Kinobesuch. Antonie lernte Boogie-Woogie, bekam von Ernst Nylonstrümpfe und Hershey-Schokolade geschenkt und zum Geburtstag ein Paar Schuhe mit Kreppsohlen – made in USA . Kurz vor der Währungsreform machte Ernst Pabst dem Fräulein Antonie Marlowitz einen Heiratsantrag, und kurz nach der Währungsreform fand die zeitgemäß bescheidene Hochzeit statt. Eine Hochzeitsreise gab es nicht, oder vielmehr doch, nur endete sie schon in den Außenbezirken Düsseldorfs, wo das junge Paar eine nicht übermäßig komfortable, jedoch gründlich renovierte Zweizimmerwohnung mit Küche, Bad und Ofenheizung bezog. Hier wurde im Herbst 1949 auch Tochter Tinchen geboren.
Frau Kanzleirat Marlowitz übersiedelte aus ihrem Untermieterzimmer in die nun freie Kleinstwohnung ihres Schwiegersohnes. Als sie im Zuge des Lastenausgleichs
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