Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?
1. Das erste Buch Charly
Es gibt Tage, an denen lässt Charly Nusselein Herrn Schlüter einen guten Mann sein.
Man muss in diesem Zusammenhang allerdings wissen, dass Charly Nusselein überzeugter Atheist ist, sich selbst aber, falls er doch einmal betet, einen eigenen Gott namens »Herr Schlüter« geschaffen hat.
Und Charly Nusselein betet oft …
… meistens, wenn er Angst hat.
Und Charly Nusselein hat oft Angst!
Angst, die in seinem aufreibenden Job an der Tagesordnung ist. Die Formulierung »aufreibend« stammte übrigens von ihm selbst – andere Menschen hätten dieses Wort – wenigstens in Verbindung mit Charly Nusselein – nie ausgesprochen.
Charly Nusselein, der eigentlich Karl-Heinz heißt, ist Lokaljournalist bei einem bunt aufgemachten Anzeigenblatt. Seit sechs Jahren. Vorher hatte er, aus Prüm stammend (»Genau wie Erich Maas, der mal bei Bayern spielte.«), in Berlin in einer Kneipe namens »Brot & Rosen« am Prenzlauer Berg als eingeschriebener Student gekellnert. Seine Mutter nannte das stolz »Unser Karli studiert auf Volksschullehrer und so was wie Kunst – es kann aber auch Turnen sein«. Als Charly Nusselein nach zehn Jahren endgültig das Studium schmiss, kehrte er in die Eifel zurück. Zunächst jobbte er zwei Jahre als Fahrer bei UPS in Wittlich, ehe er vor sechs Jahren dann Reporter bei dem Anzeigenblatt in Monschau wurde:
»Ich konnte einfach die braune Uniform von UPS nicht mehr ertragen. Ideologisch gesehen, versteht sich.«
Einige Eifeler nennen das Blatt, das monatlich erscheint, »Die Eifel-Bravo«, weil man in erster Linie ein jüngeres Publikum »so bis 49« ansprechen will. »Man« ist übrigens Alex Kufka, Verleger, Chefredakteur, Anzeigenverkäufer und sogar Bote in einer Person. Letzteres allerdings nur in seinem Wohnviertel. Kufka hat eine recht gewöhnungsbedürftige Angewohnheit. Er trägt fast immer einen Luftpolster-Umschlag bei sich und zerknackt bei Gesprächen die kleinen Kammern. »Handfürze mit Musik« nennt Nusselein das.
Das Blatt heißt übrigens »Der Hammer«, ein Name, der – zumindest in der Eifel – recht gewöhnungsbedürftig war und es eigentlich immer noch ist. Karl-Heinz Nusselein, den alle nur Charly nennen, ist seit seiner Rückkehr in die Eifel »so um die 30 rum«. Er lebt seit fünf Jahren in einem Wohnwagen auf seinem eigenen Grundstück in Ruitzhof.
Ruitzhof ist übrigens eine von Belgien umzingelte deutsche Enklave unweit von Kalterherberg. Und Kalterherberg ist wiederum ein Monschauer Stadtteil.
Stadtteil, na ja …
Eher ein Eifeldorf, ein typisches Eifeldorf, wie es sein muss: Fachwerkhäuser, hohe Hecken, Menschen, die sich nicht verbiegen lassen und früher, also bis kurz nach der Wiedervereinigung, jedem aus einem anderen Dorf eins kräftig aufs Maul hauten, der eine dorfeigene Maid länger als drei Sekunden anstarrte. Auch die angehimmelte Maid, die der Kalterherberger dann allerdings »e fies Wiev« nannte, wurde, sofern sie dem Werben des Ortsfremden nachgegeben hatte, in der Johannisnacht abgestraft: Zu ihrem Haus legten die Burschen ab der Kirche eine Spur aus Sägemehl, damit jeder hergelaufene Nicht-Kalterherberger den Weg zu der Unmoralischen auch sicher finden konnte. Aber dieser Service ist – wie gesagt – lange, lange her. Der letzte Fall liegt immerhin schon sieben Jahre zurück.
Zurück zu Charly Nusselein!
Seinen Wohnwagen nennt dieser »meinen alten Zirkuswagen«.
Richtig wäre allerdings »alter Bauwagen«, da Charly das nachträglich bunt bemalte Gefährt vor Jahren von einer Baufirma gekauft hat. Und zwar von der in Insolvenz geratenen Schleidener »Hoch- und Tief«, deren Besitzer zu sehr in die Breite gegangen war. Will sagen: Für Wein, Weib und Gesang hatte der gute Mann mit dem Firmenvermögen hoch gepokert und war tief gefallen – »Hoch und Tief« – wie der Firmenname schon sagte. Und der Mann gehörte noch nicht einmal der dritten Generation an, die bekanntlich alles in den Sand setzt.
Übrigens: Seit Charly Nusselein in dem Zirkuswagen, der ein Bauwagen ist, lebt, will das Bauamt der Stadt Monschau, zu der die deutsche Insel-Enklave Ruitzhof gehört, den recht proper hergerichteten bunten Bauwagen zwar nicht zum Teufel, aber zum nächsten Schrottplatz schicken. Doch dafür müssten die beamteten Abrissbirnen über belgisches Gebiet anrücken – und das ist auch in einem sich umarmenden Europa immer noch mit gewissen kleindiplomatischen Nasenrümpfen verbunden.
Man stelle sich nur einmal
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