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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
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Bruder.
    »Haben Sie denn nicht selber was anzuziehen? Was ist mit dem berühmten Kimono Ihrer Mutter?« fragte ich.
    »Den habe ich schon vor ein paar Jahren getragen.« Sie rümpfte verächtlich die Nase, und dabei kam der verschmierte Lippenstift an einem ihrer Schneidezähne zum Vorschein. »Ich kann bei einem Fest nicht zweimal dasselbe anziehen.«
    »Aber wenn ich Ihnen meinen Kimono gebe, dann imitieren Sie auch bloß mich. Und was sollte ich dann tragen? Ich bin nicht schlank genug für Ihre schwarze Lederhose oder diese Jeans«, sagte ich mit Blick auf besagte Jeans, die mir um etliche Nummern zu klein gewesen wäre.
    »Auf der anderen Seite des Hauses befindet sich eine kura, in der die alten Sachen meiner Mutter aufbewahrt werden. Dort können Sie sich was aussuchen. Sie lieben doch alte Kleider! Hier, nehmen Sie den Schlüssel.« Natsumi suchte in einer Kommode herum, knallte jedoch die Schublade schon bald wieder zu. »Ich kann ihn nicht finden. Tja, das bedeutet wohl, daß die kura sowieso offen ist. Vielleicht ist mein Bruder dort.« Sie hob die Augenbrauen. »Das würde Ihnen doch gefallen, oder? So ganz allein mit ihm.«
    »Sie sind betrunken, und ich gehe nicht in die kura«., sagte ich, denn ich mußte an den schwarzen Lieferwagen davor denken. »Bitte seien Sie vernünftig. Es haben ohnehin schon alle gesehen, was Sie tragen, und finden es hübsch. Setzen Sie sich einfach ein bißchen hin, dann geht es Ihnen gleich besser.«
    »Das hier ist ein halboffizielles Fest«, sagte Natsumi ein wenig herablassend. »Sie haben keine Ahnung von japanischer Etikette. Garderobe ist uns sehr wichtig. Deshalb brauche ich auch die Ihre.«
    Den Spruch »Sie haben keine Ahnung von japanischer Etikette« hatte ich schon so oft gehört, daß er mich nicht mehr verletzte. Also sah ich ihr direkt in die Augen und sagte: »Nun, Natsumi-san, dann sollten Sie einen von den Kimonos Ihrer Mutter tragen, und den müssen Sie sich schon selbst aussuchen.«
    »Mädchen, die Leute können hören, daß ihr euch streitet!« Tante Norie kam auf uns zu gewirbelt wie ein kleiner Tornado. »Ich gehe mit Rei einen Kimono holen. Ich weiß, wo die kura ist.«
    »Ach, das wäre wirklich nett!« sagte Natsumi mit einem übertriebenen Lächeln zu meiner Tante. »Bringen Sie mir doch bitte auch einen Unterrock und ein Untergewand und einen obi mit. Ich vertraue Ihrem Urteil völlig.«
    »Aber du hast Wichtigeres zu tun«, sagte ich leise zu meiner Tante. »Das Essen.«
    »Ich werde Tsutomu bitten, sich darum zu kümmern. Er findet sich mittlerweile schon ziemlich gut im Haushalt zurecht.«
    »Ich gehe schon mal nach oben, um mich auszuziehen, und warte dann«, sagte Natsumi.
    »Natürlich«, meinte Tante Norie.
    Der unterwürfige Tonfall von Norie gefiel mir überhaupt nicht. Als wir draußen waren, sagte ich zu ihr: »Das ist eine Falle. Etwas – ich meine jemand – wartet im Lagerhaus auf uns.«
    »Sei doch nicht albern, Rei -chan. « Tante Norie schaltete ihre Taschenlampe ein und marschierte den Weg hinunter, der zur kura und dem schwarzen Lieferwagen führte.
    »Das Lagerhaus ist die Wurzel allen Übels. Sakura ist nicht nur ins Schularchiv gegangen, um die Kayama-Keramiken auszuleihen, sondern wahrscheinlich auch in diese kura, um einen der Kimonos von Takeos Mutter zu holen. Und während sie dort war, ist sie auf etwas gestoßen, das zu ihrem Tod geführt hat.«
    »Wieso sollte Sakura Kleidung von Mrs. Kayama getragen haben?« Norie blieb stehen und musterte mich mit einem merkwürdigen Blick.
    »Nun, ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, daß sie es war«, gestand ich. »Aber so viel ist klar: Eine japanische Frau mittleren Alters hat den gelben Kimono von Takeos Mutter gestohlen und sich als Mrs. Kayama ausgegeben, als sie bei Mr. Ishida im Laden war. Sie hat ihm Keramiken aus den dreißiger Jahren verkauft, die für die Kayama-Schule hergestellt worden waren.«
    Tante Norie atmete schneller. »Du lieber Himmel.«
    »Was ist?«
    »Ich glaube, ich habe eine Frau gesehen, die so angezogen war, aber durch den Morgennebel konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen. Ich dachte, das ist Mrs. Kayama, die aus dem Totenreich zurückgekehrt ist, um mich heimzusuchen.«
    »Aber warum denn?«
    »Sie ist ein paarmal zu mir in den Garten gekommen, immer um den Jahrestag ihres Todes im Frühjahr herum. Ich bin mir sicher, daß diese Frau auch diejenige ist, die mir die Haikus schickt.« Plötzlich sprudelte all das heraus, worüber Norie so

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