Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
Vom Netzwerk:
es kälter als im übrigen Haus. Ob er den Kamin an kühlen Abenden wie dem heutigen wohl anmachte? Ich konnte nirgends Holzscheite entdecken, nur einen Stapel Zeitschriften zu Umweltschutzthemen. Auch ich war kein ordentlicher Mensch, aber so viele alte Hefte wie Takeo sammelte ich zum Glück nicht. Ich wandte den Blick von dem Durcheinander ab und der Nische zu, in der die Schriftrolle von Takeos Mutter über einem Arrangement aus Zweigen hing.
    Ich sah mir die Schriftrolle genauer an. Das schöne an Reiko Kayamas Kalligraphie war, daß sie ihre kanji klar und deutlich geschrieben hatte und ich sie gut entziffern konnte. Normalerweise war mir das bei Kalligraphien nicht möglich.
    Außerdem half es, daß ich nach ein paar Worten eines der Haikus erkannte, von denen ich Takeo erzählt hatte: Die Frühlingswinde stoßen das hübsche Mädchen, Ärger erregend.
    Ich hatte diese Worte für eine Drohung gegen mich gehalten; jetzt begriff ich, daß sie lediglich die Szene von Reiko Kayamas Sturz beschrieben. Norie hatte mir gesagt, ihrer Meinung nach sei Reiko ausgerutscht, doch als sie mir die Szene schilderte, erwähnte sie nur, wie sie Reiko fallen sah. Norie hatte es nicht laut ausgesprochen, aber ich dachte es jetzt: Möglicherweise hatte jemand Reiko Kayama gestoßen.
    Wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, die Frau des iemoto die Treppe hinunterzustoßen? Logisch betrachtet konnte es nur der Schulleiter oder Sakura oder jemand anders aus der Kayama-Schule gewesen sein. Allerdings wäre auch vorstellbar, daß ein kleiner Junge seine Mutter im Spiel aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Sie war nicht in der Lage gewesen, die Balance wieder zu finden, und die Stufen hinuntergestürzt. Daraufhin hatte der Junge womöglich jahrelang solche Schuldgefühle gehabt, daß er die Haikus seiner Mutter kopierte und sie Tante Norie schickte, weil er glaubte, diese habe ihn dabei beobachtet. Wie es ihm allerdings gelungen war, sich im Kimono als die eigene Mutter auszugeben, überstieg mein Vorstellungsvermögen. Hatte er seinen eigenen Autounfall arrangiert, weil er sichergehen mußte, daß Mr. Ishida ihn nicht mit den Kayama-Keramiken in Verbindung bringen würde?
    Plötzlich verschwamm mir die Sicht, und ich merkte, wie mir Tränen in die Augen traten. Wieso hatte ich meine Gefühle Takeo gegenüber überhaupt zugelassen? Norie hatte schon recht, er war nicht der richtige für mich.
    »Was machen Sie denn hier drin?« Lila Braithwaites Stimme riß mich aus meinen Gedanken. Mit ihrem paillettenbesetzten Cocktailkleid ähnelte Lila, die in der Tür zu Takeos Zimmer stand, einer Eiskönigin.
    »Ich warte hier. Und das, was heute nachmittag passiert ist, tut mir leid.«
    »Mir auch!« sagte Lila wütend. »Als ich Sie kennengelernt habe, dachte ich wirklich, Sie wollten mir bloß ein paar Antiquitäten verkaufen. Und ich hätte sie sogar gekauft. Haben Sie deshalb mein Leben zerstört – weil Sie wütend darüber waren, daß ich Ihre blöden Teller nicht wollte?«
    »Finden Sie nicht, daß Sie für diese Entwicklung verantwortlich sind? Schließlich haben Sie sich für die Affäre mit dem iemoto entschieden. Und falls es anders gewesen ist, sollten Sie das der Polizei sagen. Es gibt Gesetze gegen sexuelle Belästigung …«
    Lila schloß die Tür hinter sich und trat auf mich zu. »Sie sind also eine richtige Japan-Expertin, was, meine liebe Rei? Sie sprechen die Sprache. Sie verkaufen japanische Möbel. Sie geben sogar juristische Ratschläge! Nun, Sie können mir glauben, daß Masanobu mich nicht sexuell belästigt hat. Wir sind zwei erwachsene Menschen, die den Beschluß gefaßt haben, etwas miteinander anzufangen. Völlig unabhängig von unseren Kindern. Nur für uns.«
    Ich wollte gerade erwidern, daß sie ja auch noch irgendwo einen Ehemann habe, den ich zwar nie persönlich kennengelernt hatte, doch dann hielt ich mich zurück. Sie hatte recht. Ich war nicht nur in ihre Wohnung eingedrungen, sondern auch noch in ihren begehbaren Wandschrank. Recht viel aufdringlicher konnte man nicht mehr werden.
    »Ich werde niemandem davon erzählen.« Das meinte ich ernst, denn ich konnte den Gedanken, daß Takeo vom Verhalten seines Vaters erfuhr, nicht ertragen. Der Verlust seiner Mutter war schon schmerzlich genug für ihn.
    »Das glaube ich Ihnen nicht«, sagte Lila mit bebender Stimme.
    »Doch, ich verspreche es Ihnen.« Ich hielt ihrem Blick stand. »Allerdings nur, wenn Sie nichts mit dem Mord an Sakura zu tun

Weitere Kostenlose Bücher