Bittere Mandeln
gibt’s denn so was?« fragte Hiroshi.
»Jemand hat uns Einladungen geschickt, aber die Kayamas wußten nichts davon.«
»Wer würde so etwas tun? Gäste zu bekommen, wenn das Haus nicht bereit ist und man nichts zu essen hat, ist demütigend!« sagte Tante Norie. Eriko, die sich gerade mit jemand anderem unterhielt, beugte sich zu uns herüber und nickte zustimmend.
»Wir wissen nicht, wer’s war«, sagte ich. »Es sollen nicht zu viele Leute von dem Mißgeschick erfahren, denn sonst hätten sie alle ein schlechtes Gewissen, hier zu sein. Takeo hat Essen bestellt. Es wäre sehr nett, wenn du helfen könntest, die Teller und Tabletts zu einer Art Büffet anzuordnen, sobald die Leute vom Lieferservice kommen.« Ich mußte sie nicht extra bitten, ein Auge auf die Speisen zu haben, weil ich wußte, daß sie das ohnehin tun würde.
»Aber natürlich. Es wird alles ein bißchen improvisiert wirken, aber ich denke, ich schaffe das schon. Ich weiß, wo das Geschirr ist und wie alles serviert werden muß.« Norie schwieg eine Weile. » Rei- chan – bist du deshalb vorhin nach oben gegangen? War es, um Takeo bei der Rettung des Abends zu helfen?«
Als ich nickte, lächelte sie dankbar. »Du bist wirklich ein Goldschatz.«
Nachdem ich solchermaßen die Gemüter beruhigt hatte, ging ich wieder zur Auffahrt zurück und dann einen Kiespfad hinunter, der zu einem kleinen, weißverputzten Häuschen führte. Vermutlich war das die kura, das Lagerhaus für die Familienpreziosen. Davor stand ein Wagen, nicht der Range Rover, sondern ein schwarzer Pickup von Nissan.
Ich näherte mich der Kühlerhaube, die leise Geräusche von sich gab, so, als sei der Motor noch nicht lange abgeschaltet. Die Haube selbst war noch warm. Meine Sandalen machten mich ein bißchen größer, so daß ich in den Lieferwagen schauen konnte. Im fahlen Licht der Laternen an den Bäumen konnte ich unterschiedliche Objekte auf dem Beifahrersitz erkennen: ein Fischnetz, eine Leiter und einige zusammengefaltete Laternen. Dies war also der Wagen jener Person, die die Auffahrt geschmückt hatte. Möglicherweise hielt sich der heimliche Gastgeber gerade in der kura auf und stahl die Schätze der Kayamas.
Ich war nicht mutig genug, um hineinzugehen, aber eins konnte ich immerhin tun: Ich nahm Tante Nories Kamera aus dem Beutel und machte ein Bild von den Sachen auf dem Beifahrersitz sowie von der Rückseite des Wagens samt Nummernschild. Dann ging ich zum Haus zurück. Hätte ich doch nur eine Taschenlampe dabei gehabt! Der Wald rund ums Haus wirkte entsetzlich verlassen. Obwohl ich kaum mehr als fünfzig Meter vom Gebäude entfernt war, konnte mich niemand sehen. Ich beschleunigte meine Schritte und wurde erst ruhiger, als ich nahe genug beim Haus war, um zu beobachten, wie die ersten Gäste wieder heimfuhren.
Ich hatte bisher keinen einzigen Angestellten der Kayama-Schule entdeckt; weder Mrs. Koda noch Miss Okada noch irgendeine andere der Lehrerinnen oder Sekretärinnen. Auch von Masanobu Kayama fehlte jede Spur. Nun, vielleicht marschierte er in seiner Tokioter Penthouse-Wohnung auf und ab und dachte sich eine Methode aus, wie er mich bestrafen könnte.
Aber wieso war Lila dann hier? Ich versuchte, eine Erklärung zu finden. Hatte sie dieses Fest organisiert, um Takeos Chancen auf die Übernahme der Schule zu reduzieren? Wenn ja, bedeutete das, daß sie seinen Vater heiraten und ihre eigenen Kinder zu den neuen Erben des Imperiums machen wollte. Nein. So erstrebenswert konnte es nicht sein, im goldenen Käfig der Kayama-Familie zu sitzen. Vermutlich war Lila ganz mit dem gegenwärtigen Stand der Dinge zufrieden.
Ich betrat das Haus unmittelbar hinter einem Mann, den ich als Gesellschaftsreporter des Tokyo Weekender erkannte. Wenn ein den Tatsachen entsprechender Bericht über diese Party in dem vierzehntägig erscheinenden Boulevardblatt abgedruckt würde, wäre das eine Katastrophe für die Kayamas. Ich tauschte meine Schuhe gegen Slipper, und Natsumi sah mir dabei zu. Als ich einen Fuß auf den polierten Boden setzte, packte sie mich am Handgelenk. Sobald der Gesellschaftsreporter und seine Begleiter im Wohnraum waren, sagte sie: »Ich möchte, daß Sie nach oben gehen, Ihren Kimono ausziehen und ihn mir geben.«
Sie roch so stark nach Alkohol, daß ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. »Warum das?«
»Ich bin die Gastgeberin. Ich muß hübsch aussehen«, sagte sie, und dabei klang sie genauso verzweifelt wie kurz zuvor ihr
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