Bittere Mandeln
zu schwanken, als werde sie gleich umfallen. Takeo fing sie auf, als die Aufzugtür sich gerade wieder öffnete, und ungefähr ein halbes Dutzend Ikebana-Schülerinnen heraustraten. Sie blieben sofort stehen, als sie die Polizisten sahen.
»Ich dachte, die Schule ist offiziell geschlossen! Wieviele Leute halten sich derzeit in dem Gebäude auf?« fragte der Inspektor der National Police Agency wütend.
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Takeo Kayama. »Lehrer und Schüler zusammengenommen vielleicht dreißig.«
»Das sind aber nicht viele für ein neunstöckiges Gebäude.«
»Die Stockwerke fünf bis sieben stehen leer«, erklärte Miss Okada. »Im neunten befindet sich das Penthouse der Familie Kayama, und wie Sie sehen, sind die Kinder des iemoto hier.«
»Schließen Sie die Ausgänge«, wies der Inspektor seine beiden Assistenten an. »Miss Okada, bitte helfen Sie ihnen.«
»Aber wir werden zu Hause erwartet. Wir müssen das Essen kochen«, sagte Eriko. Offenbar hatte sie keine Ahnung, was hier los war. Die anderen Japanerinnen begannen leise vor sich hinzumurmeln, und Lila Braithwaite und Nadine St. Giles, die einzigen beiden Ausländerinnen in der Gruppe, sahen mich hilfesuchend an. Mari Kumamori, die Schülerin, die auch töpferte, schien vor Schreck erstarrt zu sein.
»Sakura Sato ist tot«, sagte ich auf englisch. Lila schnappte nach Luft, und Nadine packte sie am Arm. Dabei stieß sie versehentlich gegen den Tisch an der Rezeption. Die Vase mit der Calla fiel um, und das Wasser ergoß sich über die glänzende Rosenholzoberfläche. Die sich auf dem rötlichen Holz ausbreitende Flüssigkeit erinnerte mich an Sakuras Blut.
Der Inspektor der National Police Agency tippte ungeduldig mit der Spitze seines Regenschirms auf den Boden. »Shimura-san, würden Sie und Ihre Nichte uns bitte nach oben zum Tatort begleiten?«
»Nein, bitte, das kann ich nicht.« Tante Norie begann zu schluchzen, und Eriko eilte herbei, um ihre Freundin in den Arm zu nehmen.
»Sie hat einen Schock erlitten. Sie muß sich ausruhen«, sagte Eriko mit strenger Miene zu Lieutenant Hata.
»Ich versuche ja schon seit fünf Minuten, sie zum Hinsetzen zu bewegen. Könnten Sie ihr vielleicht helfen? In der Zwischenzeit soll die Nichte mit mir nach oben gehen«, sagte Lieutenant Hata. Ich folgte ihm in den Aufzug, und er drückte so schnell auf den Knopf, daß der Inspektor keine Chance hatte, sich uns anzuschließen. Nun, wahrscheinlich hatte er ohnehin genug damit zu tun, sämtliche anwesenden Damen zu befragen.
»Die National Police Agency hat über Funk mitbekommen, was passiert ist. Mord ist so interessant, daß sie sich in die Ermittlungen der Metropolitan Police einschaltet. Besonders in dieser Gegend.« Er sah mich fragend an. »Entschuldigung, Shimura-san, wie geht es Ihnen?«
»Ich bin ziemlich durcheinander. Muß ich das wirklich noch einmal ansehen?«
»Nicht die Leiche, aber den Tatort. Ich möchte Sie bitten, mir noch einmal zu sagen, was Ihnen vor und während ihrer Anwesenheit in diesem Raum auffällt. Das ruft vielleicht Einzelheiten in Erinnerung, die Sie uns unten noch nicht nennen konnten.«
Und ich hatte gedacht, ich hätte eine ziemlich genaue Beschreibung gegeben. Wortlos starrte ich den Boden des Aufzugs an. In einer Ecke lagen ein paar Kirschblüten, vermutlich von Zweigen, die eine Schülerin mit nach Hause genommen hatte.
»Es dauert nicht lange, Shimura-san.« Nachdem wir den Aufzug verlassen hatten, zogen Hata und ich die Schuhe aus und stellten sie zu denen, die die Leute von der Spurensicherung vor dem Raum aufgereiht hatten. Meine Laufmasche war mittlerweile noch größer geworden.
Ich trat ein und warf einen Blick auf Sakuras Leiche. Zu meiner Erleichterung hatte sich keine Blutlache um sie gebildet; der Fleck reichte nicht weiter als bis zu ihrem Schlüsselbein. Ein Polizeifotograf ging auf Zehenspitzen um sie herum und machte Aufnahmen, während drei weitere Beamte auf dem Boden herumkrochen und Schmutzpartikel für die spätere Analyse aufsammelten.
Sakura sah genauso aus wie vorher. Die Schere steckte immer noch in ihrem Hals. Aber das Licht war irgendwie anders. Ich sagte: »Die Jalousien waren offen, als ich vorhin hereingekommen bin und meine Tante und Sakura entdeckt habe. Jemand muß sie heruntergezogen haben.«
»Das waren wir, damit wir gleichmäßigeres Licht haben. Und damit die Leute nicht hereinschauen können«, meinte der Fotograf.
Das Kayama-Kaikan-Gebäude hatte eine
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