Bittere Pille
seine Freundin recht
haben könnte. Das Ding im See sah wirklich aus wie eine
Wasserleiche. Dennoch wollte er nicht wahrhaben, was er sah. Die
Spiegelungen und Lichtreflexionen auf der Wasseroberfläche
verzerrten das Bild. Genauso gut konnten sie sich irren.
»Blödsinn«, versuchte Jonas seine Freundin zu
beruhigen. »Vermutlich treibt da irgendein Ast auf dem
Wasser, der die verkrüppelte Form einer Hand hat oder so
ähnlich.«
»Nein.«
Lisa schüttelte den Kopf. Ihre Unterlippe bebte. »Das da
ist eindeutig eine Hand, Jonas. Wir müssen rausfahren und
nachsehen.«
»Wie stellst du
dir das vor? Wir haben Bier getrunken und einen Joint
geraucht.«
»Das ist mir
scheißegal, Jonas. Wir müssen zum See
zurück.« Sie tippte auf den Monitor. »Da schwimmt
eine Hand neben dem Ding im Wasser. Jonas, das ist kein Sack, da
treibt eine Leiche im See. Wir müssen die Bullen
rufen!«
»Hallo,
hörst du mir nicht zu, Lisa? Wir rauchen Gras und saufen Bier,
und du verlangst von mir, dass ich die Bullen auf den Plan
rufe?« Er schüttelte den Kopf. »Da werde ich nicht
die Pferde scheu machen!«
»Was ist, wenn
der Typ da noch am Leben ist?« Lisa flüsterte nur noch.
»Ich habe keinen Bock, schuld an seinem Tod zu sein.
Vielleicht können wir ihn noch retten.« Die Stimme des
Mädchens war nur noch ein Hauch. Sie blickte Jonas mit
großen Augen an. Er seufzte, erhob sich und suchte nach dem
Telefon. Mädchen konnten manchmal echt anstrengend sein,
dachte er, während er die Nummer des Notrufs
wählte.
3
Uelfetal, 19:55
Uhr
In Hückeswagen
hatte es ein großes Käfer-Treffen gegeben, und da war
Stefan mit seinem vierzig Jahre alten VW natürlich ein gern
gesehener Gast gewesen. Einmal im Jahr verwandelte sich das
Bergische Land in ein Mekka für Freunde des luftgekühlten
Volkswagens, und dieser Termin war für Stefan ein absolutes
Muss. Käferfahrer reisten aus Nah und Fern an, um
gemütlich zusammen zu sein und über ihre kugeligen
Lieblinge zu fachsimpeln. Doch nicht nur die VW Käfer hatten
das Tagesprogramm bestimmt: Sie hatten sich einen schönen Tag
am Ufer der Bevertalsperre gemacht, nachmittags ein Tretboot auf
dem Campingplatz am Käferberg gemietet, dort gut gegessen und
befanden sich nun auf dem Heimweg durch Beyenburg.
Stefan Seiler liebte
diese freien Tage, an denen er spürte, dass Heike Göbel
nicht nur seine Kollegin im Sender, sondern auch seine Freundin
war. Seit fast zehn Jahren arbeitete er nun für den kleinen
lokalen Radiosender »Wupperwelle«. Dort hatte er Heike
auch kennengelernt. Auf Anhieb hatten sich die beiden gut
verstanden und waren nicht nur im Studio, sondern auch im privaten
Leben ein Team geworden. An die neugierigen Blicke der Kollegen im
Sender hatten sie sich längst gewöhnt; und auch die
dummen Sprüche der Kollegen hatten irgendwann nachgelassen. Es
war Samstag, und die beiden hatten frei.
Jetzt freute sich
Stefan auf einen Kuschelabend in seiner gemütlichen
Altbauwohnung an der Elberfelder Marienstraße. Vielleicht
würden sie sich später am Abend noch Pizza bestellen und
eine gute Flasche Wein köpfen.
Durch das
geöffnete Seitenfenster drang der Fahrtwind in das Innere des
VW Käfer, den Stefan liebevoll »Clemens« nannte.
Der Wind spielte mit Heikes kurzen blonden Haaren. Ihre Hand lag
auf seinem rechten Oberschenkel. Aus dem Radio ertönte
»Ayo technology« von Milow, und Stefan sang laut, aber
grottenschlecht mit. Der Abend war lau, und die Hitze des Tages
hatte nachgelassen. Jetzt war es auszuhalten im engen Tal der
Wupper. Der Fluss lag linkerhand und glitzerte im Licht der tief
stehenden Sonne. Es waren nur noch selten Ausflügler auf dem
Heimweg unterwegs, Stefan genoss die freie Landstraße, und
der Motor im Heck des Käfers blubberte zufrieden. Die
Straße verlief jetzt parallel zum »schwarzen
Fluss«, wie die Wupper genannt wurde, und schlängelte
sich durch das Tal. Nach wenigen Kilometern erreichten sie den
Wuppertaler Stadtteil Beyenburg.
»Sieh mal, was
ist denn da los?«, rief Heike plötzlich und deutete nach
links. Der See lag still da. Am anderen Ufer sahen sie auf einem
kleinen Parkplatz einige Fahrzeuge, darunter einen
Notarztwagen der Wuppertaler Feuerwehr und zwei
Streifenwagen. Heikes beruflich bedingte Neugier war erwacht.
Stefan hatte den Fuß vom Gaspedal genommen und wandte den
Kopf nach links. »Sieht nach einer Übung
aus.«
»Am
Samstagabend?« Heike schüttelte den Kopf. »Das
glaube ich nicht. Da ist bestimmt etwas
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