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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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über das Gesicht. Es war ihr unangenehm, dass sie ihre Gefühle nicht kontrollieren konnte. Beschämt blickte sie auf. Seine grauen Haare sind frisch geschnitten, dachte sie und spürte, wie ihr Herz einen Takt schneller schlug. Er hat noch nicht einmal zwei Schritte in den Raum hinein getan und meine Gefühle fahren Karussell, dachte Gesche und wollte sich erheben, doch der Mann gab ihr Zeichen, sitzen zu bleiben.
    »Guten Morgen«, wünschte er milde lächelnd. »Wie war die Nacht?«, wollte er leise wissen und forschte in ihrem Gesicht. Er konnte Tränen in ihren Augen glitzern sehen, was ihm fast das Herz zerriss. Sein Blick wanderte verstohlen über ihren Körper. Besorgt stellte er fest, dass sie in den letzten Tagen noch dünner geworden war. Obwohl der Kittel mehrere Kleidernummern zu groß war, konnte man unter dem Stoff die Rippen spitz hervorstechen sehen. Ihre Haut erschien ihm durchsichtig und frühzeitig gealtert. Als er den Teller mit dem unberührten Essen sah, den sie auf dem Deckel des Nachtstuhls abgestellt hatte, schüttelte er unmerklich den Kopf. Ach, Gesche, seufzte er innerlich. Warum tust du dir das an?
    Seit dem ersten Tag, an dem sie sich begegnet waren, hatte er sie hier fast täglich besucht. Im Laufe der Zeit war aus dem beruflichen ein menschliches Interesse entstanden. Obwohl er von Anfang an wusste, dass ihre Zeit begrenzt sein würde, trübten nun Trauer und auch Angst sein Gemüt.
    »Gibt es irgendetwas, was ich tun, einen Wunsch, den ich erfüllen könnte?«, fragte er ehrlich besorgt und schaute ihr in die dunklen Augen.
    Die Gottfried erwiderte den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein, danke!« Doch dann schien sie zu überlegen. »Es wäre nett, wenn man mir morgen ein Glas Rotwein reichen würde.«
    Erstaunt zog er eine Augenbraue in die Höhe und nickte schließlich. »Das werde ich sehr gerne veranlassen«, versprach er und lächelte verständnisvoll. Doch dann spürte er einen Kloß im Hals. Seine Gesichtszüge wurden ernst. Er wandte sich von ihr ab und ging zu der Fensteröffnung. Seine Beine waren so lang, dass er mühelos hinausschauen konnte. Ohne den Blick von draußen abzuwenden, klemmte er den Zylinder unter den Arm und streifte die dünnen Handschuhe von den Fingern. Sorgfältig legte er das dunkle Leder in den Hohlraum des Hutes, den er auf den kleinen Tisch stellte. Er sprach kein Wort, sondern verschränkte seine Arme hinter dem Rücken, legte die Hände ineinander und wippte mit den Fersen auf und ab. Dann stand er still. Erst nachdem er tief eingeatmet hatte, drehte er sich der Frau zu und schaute ihr in die Augen. Es bereitete ihm Mühe, ihrem Blick standzuhalten.
    Gesche bemerkte sein verändertes Verhalten sofort und runzelte nachdenklich die Stirn. »Was ist geschehen?«, fragte sie schließlich mit ungutem Gefühl. Sie konnte erkennen, wie er seine Schultern straffte.
    Schließlich sagte er mit fester Stimme: »Morgen wird ...«
    Gesche hob die Hand, sodass er verstummte.
    »Ich weiß, was morgen sein wird. Schließlich warte ich darauf seit geraumer Zeit.«
    Erstaunt zog er die Augenbrauen zusammen. »Darauf warten?«, wiederholte er verständnislos und sie nickte.
    »Es ist unausweichlich und ich will es endlich hinter mich bringen. Der Herrgott lässt nicht zu, dass ich es ohne fremde Hilfe schaffe. Also werde ich wohl oder übel den Weg beschreiten müssen.«
    Der Mann schaute zu dem unberührten Essen und er verstand.
    »Jetzt sagt, was zu sagen ist«, forderte sie ihn mit sanfter Stimme auf. Gesche vermied die unpersönliche Anrede und hoffte, dadurch Nähe zu ihm aufbauen zu können. Der Besucher reagierte jedoch nicht auf ihre Vertrautheit und blieb am Fenster stehen, von wo aus er sie durchdringend ansah.
    Gesche spürte die Kälte, die seine Haltung und sein Blick ausdrückten. Falls es je so etwas wie Gefühle zwischen ihnen gegeben hatte, erstarrten sie in diesem Augenblick. Der Mann schien seine Worte wohl zu wählen, als er ihr mitteilte: »Wir sehen uns nun noch zwei Mal wieder. Ein Mal vor dem Stadthaus und dann, so Gott will, droben.« Sein Zeigefinger der linken Hand wies zur Decke. »Deshalb möchte ich Ihnen sagen, dass ich mich innerlich immer gefreut habe, Sie zu sehen, auch, wenn es hier sein musste«, erklärte er und machte mit beiden Händen eine raum umfassende Bewegung. »Ich war Ihnen stets hilfsbereit gesinnt und deshalb haben Sie mich auch nur mit freundlicher Miene gesehen.« Bevor er weitersprach, nahm er seinen

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