Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
unsägliches Maul halten sollen«, zischte sie und hieb mit der Faust auf die Matratze. »Von ihr kam das Fett mit dem Gift. Wie sonst wäre ich daran gekommen? Schließlich wird es einem nicht an jeder Hausecke angeboten«, verteidigte sich Gesche eigensinnig. »Sicherlich hat Mutter nie daran gedacht, dass ich mit der Mäusebutter auch ihr eigenes Leben beenden würde und das des Vaters gleich dazu«, feixte sie gehässig und blickte zur rotbraunen Decke. Ihre Gesichtszüge wandelten sich erneut, als sie an ihren Zwillingsbruder Johann dachte. Dieser dumme Mensch, schimpfte sie. Ich hatte ihn bereits vergessen - ihn verschollen geglaubt, da taucht er wieder auf. Wie habe ich mich gefreut, als er sich vor vielen Jahren freiwillig als Soldat verpflichtete. Endlich war ich ihn los gewesen. Doch dieser dämliche Johann schleppt sich schwer krank aus Frankreich nach Hause. Reine Geldgier hat ihn getrieben! Nur der Gedanke an sein Erbe hat ihn am Leben gehalten. Bei dem Gedanken an ihren Zwillingsbruder bekam Gesche plötzlich einen Kicherkrampf. Nachdem sie sich beruhigt hatte, erinnerte sie sich an den Tag, als sie dem Bruder den schmackhaften Schellfisch servierte, den sie großzügig mit Arsen vergiftet hatte. »Niemand konnte mir meine Tat nachweisen. Sie haben mich alle bemitleidet«, flüsterte sie triumphierend. »Die arme Frau«, hörte Gesche noch die Stimmen der Nachbarn und anderer Bremer Bürger in ihren Ohren klingen. »Gramgebeugt ist sie wegen des großen Leids, das sie ertragen muss. Erst starb ihr Ehemann, dann nacheinander die Eltern und, als wäre das nicht schon Herzweh genug, nahm Gott ihr die drei Kinderchen. Jetzt kommt endlich ihr Zwillingsbruder zurück und da stirbt er ebenfalls. Diesen Schmerz hat kein Mensch verdient! Wie kann die Gesche einem leidtun! Doch zum Glück meint das Schicksal es doch noch gut mit ihr ...« So hörte man die Menschen sich über Gesches Schwangerschaft freuen, obwohl sie mit dem Vater des Kindes, dem Weinhändler Michael Christoph Gottfried, nicht verheiratet war. Aber das verziehen die Leute dem Paar, denn schließlich lag Gottfried schon seit Längerem sehr krank darnieder.
Die Menschen sind dumm, höhnte Gesche. Was wäre wohl aus ihr geworden, wenn das Gift bei ihrem Liebhaber, dem Weinhändler, schneller gewirkt hätte? »Was soll ich mir über ungelegte Eier Gedanken machen? Schließlich hat sich alles zum Guten gewendet.« Gottfried ehelichte sie noch auf dem Totenbett, sodass sie nach seinem Ableben ein kleines Erbe antreten konnte. Es wäre schön gewesen, wenn unser Sohn überlebt hätte, dachte sie für einen winzigen Augenblick, doch dann verwarf sie den Gedanken wieder. Unfug, schalt sie sich. Es war gut so, dass er tot zur Welt gekommen ist. Er hätte ebenso wie seine Geschwister mein Leben nur erschwert. So konnte ich das Geld mit vollen Händen ausgeben. Auch, wenn davon schon wenige Jahre später nicht mehr viel übrig geblieben ist.
Das Kratzen des Schlüssels, der sich im Türschloss herumdrehte, unterbrach Gesches Gedanken. Verärgert setzte sie sich auf, da sie dachte, der Mann käme zurück. Doch stattdessen trat die Frau ein, die ihr jeden Morgen das Frühstück brachte.
»Das kannst du wieder mitnehmen. Genauso wie das Abendessen von gestern«, fuhr Gesche die Frau mürrisch an, als diese das Tablett auf dem Tisch abstellen wollte. »Ich werde auch heute nichts zu mir nehmen!«, sagte Gesche energisch.
»Irgendwann musst du etwas essen«, erklärte die Frau, die das Tablett mit dem unberührten Essen auf dem Nachtstuhl erblickte.
»Ach ja! Wer sagt das?«
»Schau dich an, Gesche. Du bist nur noch Haut und Knochen.«
»Unserem Herrgott ist es einerlei, wie ich aussehe, wenn ich an seine Himmelspforte klopfe.«
Die Frau blickte nachdenklich an ihr herunter. »Meinst du, dass das Himmelstor für dich offen stehen wird?«, wollte sie wissen und schaute ihr unvermittelt in die Augen.
»Zweifelst du daran?«, fragte Gesche schnippisch.
Die Frau zuckte mit den Schultern. Doch dann sagte sie: »Jeder muss für seine Sünden Buße tun. Warum sollte es bei dir anders sein?«
Gesche schwang die Beine aus dem Bett, um aufzuspringen, doch sie hatte keine Kraft und ihr Körper sackte zusammen. »Vor Gott sind alle Menschen gleich«, keuchte sie und ihre Augen funkelten zornig.
»Da stimme ich dir zu. Aber nur, wenn es um die Frage arm und reich oder eine andere Nationalität geht. Aber nicht bei der Frage gut und böse«, sagte die Frau
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