Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
schwarzen Zylinder auf und holte die Handschuhe heraus. Während er scheinbar konzentriert das Leder über die Finger zog, schaute er Gesche nicht an. Auch nicht, als er ihr erklärte: »Wenn Sie mich nun morgen wiedersehen, wird es also vor dem Stadthaus sein. Wundern Sie sich nicht, denn ich werde ernst und streng aussehen.« Mit einem fast flehentlichen Blick sah er sie an und begründete: »Das ist dann aber nicht der Mensch in mir, sondern der Richter und die Pflicht des Amtes. Es wäre mir lieber, dass Sie mich sehr mild und tröstend zuletzt sähen, aber das gehört sich dort nicht und ich möchte gern, dass Sie das vorher wissen.«
Der Mann setzte den Zylinder auf und ging zur Tür, gegen die er zwei Mal klopfte. Als sie geöffnet wurde, wandte er sich ein letztes Mal an die Gottfried, die sprachlos dasaß und ihn anstarrte. »Sehen Sie zu und seien Sie recht standhaft«, murmelte er und verließ den Raum.
Gesche blickte ihm wie betäubt hinterher. Erst als sich der Schlüssel mit dem knarrenden Geräusch im Schloss drehte, erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie erhob sich und eilte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Tür, gegen die sie mit beiden Fäusten hämmerte: »Sie gottverdammter Unhold!«, schrie sie ihm nach. »Was habe ich Ihnen getan, dass Sie so hässlich mit mir umgehen wollen? Ich war stets anständig zu Ihnen, habe Ihre Fragen beantwortet und Ihnen alles erzählt. Kommen Sie zurück!« Doch auf der anderen Seite der Tür regte sich nichts. Als Gesche Gottfried begriff, dass er nicht wiederkommen würde, blitzten ihre Augen wütend auf. »Hätte ich doch nur von der Mäusebutter! Ich würde sie dir mitleidlos aufs Brot schmieren!«, schrie sie und keuchte nach Luft. Heftig atmend ging Gesche in die Knie und kroch auf allen vieren zum Bettgestell. Dort zog sie sich mühevoll auf die Matratze, auf der sie sich ausstreckte. Schnaufend flüsterte sie: »Auch du hättest die Giftbutter gefressen und wärst elendig daran krepiert.«
Gesche lachte mitleidlos auf. »Genauso wie all die anderen, die sich mir gegenüber nicht anständig verhalten haben.« Ihr Atem ging japsend und sie schloss gequält die Augen. Plötzlich schoben sich die Gesichter ihrer Kinder vor ihr geistiges Auge. Gesche wedelte mit den Händen umher, um die Schatten der Erinnerung zu verscheuchen. Doch sie blieben. »Mutter ist schuld an dem Tod der Kleinen! Nur durch sie bin ich auf den Gedanken gekommen. Sie hat mir das Gift gegeben«, verteidigte sich die Frau, die ihre Augen fest zusammenkniff.
Während Gesches erster Ehe mit dem Sattlermeister Johann Miltenberg bekam sie fünf Kinder. Zwei brachte sie tot zur Welt, drei weiteren schenkte sie das Leben. Jedoch war den Kleinen kein langes Dasein auf dieser Erde vergönnt gewesen. Die sechsjährige Adelheid durfte am längsten bleiben - im Gegensatz zu ihrem Bruder Heinrich, den Gott mit fünf Jahren zu sich rief. Nesthäkchen Johanna war drei Jahre alt, da musste sie bereits sterben. Man schrieb das Jahr 1815, als die Mutter ihre drei Kinder beerdigte.
Tränen liefen Gesche unter den geschlossenen Lidern hervor, die im Stoff der hellen Haube versickerten. Ich hätte den Kindern einen anderen Vater als diesen liederlichen Witwer Johann Miltenberg aussuchen sollen, der sein väterliches Vermögen in Kneipen und Bordellen durchbrachte. Wie ich ihn gehasst habe. Kein Wunder, dass mir Michael besser gefallen hat. Hätte Mutter meine Liebschaft akzeptiert, anstatt mir ständig unter die Nase zu reiben, dass meine Gefühle für den Weinhändler Sünde seien, wäre alles sicher anders gekommen, überlegte Gesche sachlich. Erneut hörte sie in Gedanken das Gezeter ihrer Eltern, als sie herausgefunden hatten, dass ihre Tochter den Ehemann mit dem Weinhändler Michael Christoph Gottfried betrog. »Denk an deine Kinder«, hatte die Mutter sie ermahnt. Zum Glück war noch genug von dem Fett mit den Arsenkügelchen übrig gewesen, das ihr die Mutter vor vielen Jahren gegeben hatte, um damit Ungeziefer auszumerzen. Gesche sah die schmerzverzerrten kleinen Gesichter vor sich, als das Gift bei ihnen Bauchkrämpfe und Übelkeit auslöste. Es hat schnell gewirkt, tröstete sie sich, weil sich ihr schlechtes Gewissen kurz meldete. »Michael hätte mich sicherlich nicht heiraten wollen, wenn ich die Kinder anhängen gehabt hätte. Wer will schon die Brut eines anderen großziehen«, murmelte die Frau und stülpte trotzig die Unterlippe nach vorn. »Mutter ist daran schuld. Sie hätte ihr
Weitere Kostenlose Bücher