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Bitteres Geheimnis

Bitteres Geheimnis

Titel: Bitteres Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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uns ginge es darum, das spirituelle Leben zu retten. Wenn die Mutter stirbt, sagte er, kommt sie in den Himmel, weil sie getauft ist. Aber man muß auch dem Kind die Möglichkeit geben, getauft zu werden, weil es sonst niemals in den Himmel kommen kann.«
    Ted nickte nachdenklich. Dann sah er Amy an. »Verstehst du das?«
    »So ungefähr, ja.«
    »Wenn man die Mutter rettet und das Kind sterben läßt, kommt nur eine Seele in den Himmel. Aber wenn man die Mutter sterben läßt und das Kind zur Welt bringt und tauft, dann kommen zwei Seelen in den Himmel. Das ist der wichtige Unterschied, Amy: Seelen statt irdische Leben. Pater Crispin hat recht. Okay, Amy?«
    »Ja, wahrscheinlich. Es wäre schon schlimm, wenn so ein Baby ins Fegefeuer müßte.«
    Danach schwiegen alle. Amy hielt den Blick auf ihren Teller gesenkt und fragte sich, warum Gott, der allmächtig war und alle Wesen liebte, nicht bereit war, kleine ungetaufte Kinder in den Himmel zu lassen. Lucille dachte an Rosemary Franchimoni und das letzte Gespräch, das sie mit ihr geführt hatte. Ted dachte dar an, daß Arthur Franchimoni sich nach dem Tod seiner Frau völlig von der Kirche zurückgezogen hatte. Und Mary fragte sich, während sie mit Widerwillen in ihrem Brokkoli herumstocherte, wann Mike sie abholen würde.
    Das Läuten des Telefons brach das Schweigen. Mit einem Sprung war Amy von ihrem Stuhl und flitzte in den Flur hinaus. Sie konnten ihre gedämpfte Stimme hören. Dann kam sie schon wieder hereingelaufen.
    »Es ist Dr. Wade.«
    »Oh! Was will er denn?«
    »Keine Ahnung. Er wartet am Telefon.«
    Lucille stand auf und ging hinaus. Die anderen warteten schweigend.
    »Er hat mich gebeten, nachher mit Mary in seine Praxis zu kommen«, berichtete sie bei ihrer Rückkehr.
    »Heute abend noch? Wozu denn das?«
    »Er hat jetzt alle Befunde und möchte es uns persönlich sagen.«
    »Ach, Mutter, das ist doch längst vorbei. Mir geht's wieder gut. Hast du ihm das nicht gesagt? Außerdem wird Mike gleich kommen und -«
    »Wir gehen auf jeden Fall hin, Mary. Wir werden ja sehen, was er sagt. Wahrscheinlich verschreibt er dir nur ein paar Vitamine.«
    Diesmal fühlte sich Mary weit wohler, als sie in dem Ledersessel vor Dr. Wades Schreibtisch saß und sich in seinem Sprechzimmer umsah. Heute war ja auch keine peinliche Untersuchung zu erwarten, sondern nur ein Bericht über ihre Befunde. Als Dr. Wade hereinkam und leise die Tür hinter sich schloß, sah Mary ihn mit ganz anderen Augen als bei ihrem ersten Besuch. Er war nicht so groß, wie er ihr damals erschienen war und auch nicht mehr so jung. Sie sah die Fältchen um seinen Mund und seine Augen, und er schien mehr graue Haare zu haben als das letzte-mal. Das Lächeln jedoch war unverändert, vertraueneinflößend und herzlich.
    »Hallo, Mary«, sagte er ruhig und bot ihr die Hand.
    Sie nahm sie ein wenig scheu. »Hallo, Dr. Wade.«
    »Also.« Er ging um seinen Schreibtisch herum und räumte einige Schriftstücke weg, ehe er sich setzte. Lächelnd sagte er: »Als ich in deinem Alter war, Mary, war ich überzeugt, Ärzte hätten ein unheimlich leichtes Leben. Sie brauchen die Leute nur A sagen zu lassen und fahren ansonsten in Cadillacs spazieren. Eine schöne Illusion war das!«
    Mary lachte.
    »Okay, Mary, deine Befunde sind jetzt alle da.« Er griff nach einem Hefter und schlug ihn auf. »Blut und Urin praktisch unverändert. Du hast doch sicher Biologie in der Schule?«
    »Ja.«
    »Dann weißt du, daß Infektionen sich immer im Blut zeigen und daß ein Tropfen Urin genügt, um die verborgensten Dinge zu diagnostizieren.«
    »O ja.«
    Dr. Wade machte eine kleine Pause und sah zu den Berichten hinunter, die er vor sich liegen hatte. Als er den Blick wieder hob, sah Mary mit Überraschung, daß das Lächeln verschwunden war. Er wirkte sehr ernst.
    »Mary, ich muß dich etwas fragen. Und ich frage nicht aus Neugier oder um dir Vorhaltungen zu machen, das darfst du mir glauben. Du bist schließlich siebzehn Jahre alt, fast schon erwachsen, und du weißt, daß ich einzig dazu da bin, deine Interessen zu vertreten.«
    Sie sah ihn nur groß an, ohne etwas zu erwidern.
    »Ich habe dir die Frage am letzten Freitag schon einmal gestellt, Mary, aber ich muß dich noch einmal fragen. Bitte denke genau nach, ehe du mir antwortest. Hast du schon einmal mit einem Jungen geschlafen?«
    Einen Moment lang starrte sie ihn verblüfft an. Dann sagte sie ruhig: »Nein, Dr. Wade.«
    »Bist du ganz sicher?«
    »Aber ja. Wirklich.

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