Bitteres Geheimnis
ihrem Priester am besten aufgehoben sind.«
»O wei!«
»Ich weiß gar nicht, ob sie da so unrecht hat, Bernie. Wie dem auch sei, wenn sie mich noch einmal um meine Meinung fragen, werde ich auf psychiatrische Behandlung dringen. Und inzwischen werd ich mal festzustellen versuchen, was es mit diesen Truthühnern auf sich hat.«
5
Jetzt hätte er eigentlich schon dort sein müssen. Er wünschte, er wäre es.
Ted McFarland, der mit einem doppelten Scotch im Wohnzimmer saß und auf den toten Bildschirm des Fernsehapparats starrte, wünschte aus tiefstem Herzen, dies könnte ein normaler Mittwoch sein. Sein Trainingsabend. Gerade jetzt hätte er die Entspannung dringend gebraucht.
Aber er konnte natürlich nicht weggehen. Nicht unter diesen Umständen. Jemand mußte gewissermaßen die Festung halten; jemand mußte stark sein, sich wenigstens stark zeigen.
Aber wer brauchte ihn denn überhaupt?
Amy war im Firmunterricht, Mary hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und sprach mit niemandem, und Lucille ...
Aus dem Nebenzimmer hörte Ted ab und zu das Klirren der Whiskyflasche, wenn sie ihr Glas neu füllte.
Lucilles anfänglicher Zorn auf Mary war zu Bekümmerung und dann zu Enttäuschung dahingeschmolzen; jetzt suchte sie verzweifelt einen Weg, um wieder Zugang zu ihrer Tochter zu finden, um von ihr zu erfahren, was sie tun wollte, um zu fragen, warum sie das getan hatte, die ganze Familie enttäuscht und blamiert hatte. Aber Ted wußte, womit Lucille sich in Wirklichkeit herum schlug: mit plötzlichen. schmerzlichen Erinnerungen an die Vergangenheit.
Gegen einen überstürzten Besuch bei Pater Crispin, wie Lucille ihn gewollt hatte, nachdem sie Dr. Wades Praxis verlassen hatten, hatte er sein Veto eingelegt. Ein solches Gespräch war seiner Meinung nach verfrüht und hätte zu nichts geführt. Zumal. Lucille getrunken hatte. Und Mary war im Augenblick nur verstockt, nicht bereit, mit irgendeinem Menschen offen zu sprechen. Aber morgen, ja, morgen ganz bestimmt. Pater Crispin würde wissen, was zu tun war.
Ted McFarland liebte seine älteste Tochter abgöttisch. .Der Grund für diese beinahe krankhafte Liebe war kein Geheimnis: Ted, der seine Mutter nie gekannt hatte und in einem Jungenheim aufgewachsen war, hatte das Weibliche in seiner Umgebung heftig vermißt und immer von einer Schwester oder einer Tochter geträumt. Als Lucille in den Wehen gelegen hatte, hatte Ted in der Kirche gekniet und um eine Tochter gebetet.
Auch über Amys Geburt war er glücklich gewesen, aber Mary war die Erstgeborene, Mary war sein ganzer Stolz, der Sinn seines Lebens. Ihre grazile junge Schönheit entzückte ihn, und er hatte es nie wie andere Väter bedauert, sie vom Kind zur jungen Frau heranwachsen zu sehen.
Aber jetzt - er starrte blind vor sich hin , das war viel zu schnell gegangen. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, sie schwanger zu sehen, den jungen schönen Körper aufgeschwollen im formlosen Umstandskleid. Nichts würde bleiben von ihrer Anmut und Geschmeidigkeit. Es war wie die Schändung eines Tempels, häßlich und gemein. Ted krümmte sich plötzlich zusammen und drückte die Arme in seinen Magen, als hätte er einen Tritt erhalten.
Mary, Mary, schrie es qualvoll in ihm. Meine schöne Mary. Was habe ich falsch gemacht?
Sie stand vor dem hohen Spiegel, der an der Innenseite der Schranktür angebracht war, und betrachtete ihren nackten Körper. Im weichen Licht der Schreibtischlampe, die sie auf sich gerichtet hatte, starrte sie wie gebannt in den Spiegel.
Es war das erste Mal, daß sie ihren nackten Körper bewußt wahrnahm. Im. Badezimmer, wenn sie duschte oder ein Bad nahm, erhaschte sie immer nur einen flüchtigen Blick auf ihre nackten Schultern im beschlagenen Glas; und wenn sie sich hier in ihrem Zimmer an- oder auskleidete, wandte sie dem Spiegel unwillkürlich stets den Rücken zu. Sie hatte kaum je eine nackte Frau zu Gesicht bekommen. Ihre Mutter hatte ihr eigenes Bad und Ankleidezimmer neben dem elterlichen Schlafzimmer, und wenn Amy das Bad benützte, das sie sich mit ihrer Schwester teilte, sperrte sie immer ab.
Fasziniert stand sie jetzt vor dem Spiegel und musterte kühn ihre nackte Gestalt. Sie war verlegen dabei, schämte sich, hatte das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun; sie fühlte sich unbehaglich unter der Musterung ihrer eigenen Blicke.
Aber sie mußte hinsehen, sie mußte es wissen. War wirklich etwas verändert?
Die Schultern waren dieselben, gerade und kantig, wie die
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