Bitteres Geheimnis
die Gefahr einer Schwangerschaft über uns hinge? Und wenn ich dann vielleicht daran sterben würde.« Im Spiegel trafen sich ihre Blicke. »Du weißt, was du zu tun hast«, sagte Lucille beinahe kalt.
Er sah sie nur stumm an.
Sie stand auf und drehte sich um. »Du mußt jemanden suchen, Ted. Du mußt deiner Tochter diese Schande ersparen.«
Er brauchte einen Moment, ehe er begriff, was sie meinte. Ungläubig starrte er sie an. »Was hast du da gesagt?«
»Du weißt genau, was ich gesagt habe. Du mußt jemanden aus findig machen, zu dem Mary gehen kann. Damit sie dieses - dieses Ding los wird.«
»Nein. Das tue ich nicht!«
»Du mußt. Du kannst doch nicht tatenlos zuschauen, wie sie sich ihr Leben verpfuscht. Du mußt deine Tochter schützen, Ted. Such jemanden und geh mit ihr hin.«
»Aber das kann ich nicht. Ich meine « Er wandte sich von ihr ab und sah sich um, als suche er einen Fluchtweg. »Ich hab doch keine Ahnung von diesen Dingen. Ich habe nie von so einer Person gehört. Ich wußte gar nicht, wo ich anfangen soll«
»Dann sag Nathan Holland, er soll sich drum kümmern. Wir wissen beide, daß sein Sohn ihr das angetan hat.«
»Nathan ...« Ted rieb sich die Stirn.
»Geh zu ihm und rede mit ihm. Sag ihm, daß er verantwortlich ist. Sag ihm, was sein Sohn unserer Tochter angetan hat. Ted!« Lucille wurde lauter. »Sie soll nicht mit dieser grässlichen Belastung durchs Leben gehen müssen. Dieses Ding muß verschwinden. Weg damit!«
»Mein Gott -«
»Ted, du mußt es für mich tun. Für uns!« Sie streckte den Arm nach ihm aus, aber er wich zurück. »Ich werde nicht zulassen, daß sie diese Schande ertragen muß. Diese Qual. Sie soll das nicht erfahren. Du bist ihr Vater, Ted. Tu etwas!«
Er drehte sich langsam um und sah sie mit tiefer Trauer an. Dann nickte er. »Nathan. Ja ... Er muß es erfahren ...« Mehr wußte er nicht zu sagen.
Den nackten Rücken an ihre Zimmertür gepreßt, starrte Mary mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit um sich herum. Sie hatte jedes Wort des Gesprächs im Schlafzimmer ihrer Eltern gehört. Wie gejagt stürzte sie zu ihrem Schreibtisch und riß eine Schublade auf, nahm ihr altes Tagebuch heraus und trug es ins Licht. Sie hatte schon seit Jahren nichts mehr hineingeschrieben, weil sie es eines Tages kindisch gefunden hatte.
Jetzt setzte sie sich an ihrem Schreibtisch nieder und blätterte durch die Seiten, auf denen sie fast zwei Jahre lang tägliche Begebenheiten, ihre Schwärmereien, Wünsche und Träume als Zwölf-und Dreizehnjährige aufgeschrieben hatte, bis zum letzten beschriebenen Blatt.
Auf die leere Seite, die darauf folgte, schrieb sie: »Ich bin unberührt, und keiner glaubt mir. Am liebsten möchte ich sterben.«
6
»... immer noch steigt aus der Sixtinischen Kapelle schwarzer Rauch auf zum Zeichen, daß noch immer kein Nachfolger für Papst Johannes XXIII. gekürt worden ist. Ein Sprecher des Kardinalskollegiums sagte heute morgen «
Ted schaltete das Radio aus, als er das Haus Nathan Hollands vor sich auftauchen sah. Es stand auf einer Anhöhe unter Palmen und Sykomoren. Ted steuerte den Lincoln die steile Auffahrt hin auf und schaltete den Motor aus, noch ehe der Wagen ganz zum Stillstand gekommen war.
Nathan Hollands Haus war eines der schönsten im Viertel. Als leitender Angestellter einer großen Versicherungsgesellschaft konnte er sich das Personal leisten, das nötig war, um Haus und Garten das ganze Jahr über tadellos instand zu halten.
Ted war der Mann sympathisch. Nähergekommen waren sie sich erst, seit Mary sich im vergangenen Sommer mit Mike angefreundet hatte. Seither waren er und Lucille mehrmals bei Nat zum Abendessen eingeladen gewesen und im Dezember zu einer Weihnachtsparty. Es war bewundernswert, dachte Ted, wie Nat es schaffte, seine drei Söhne großzuziehen, das große Haus in Ordnung zu halten und dabei noch seiner anspruchsvollen Stellung bei der Versicherungsgesellschaft gerecht zu werden.
Geistesabwesend starrte Ted auf die sauber gestutzte Hecke, die das Grundstück umgrenzte. Lucille hatte heute morgen nicht ein einziges Wort gesprochen. Stöhnend war sie beim Rasseln des Weckers aufgestanden, ins Bad gegangen und hatte erst einmal vier Aspirin geschluckt. Später hatte sie wortlos Kaffee gemacht und eine Platte mit Toast und Schinken hingestellt, die keiner anrührte. Sie hatte sehr schlecht ausgesehen, das Gesicht eingefallen und fahl, die Augen von dunklen Ringen umschattet. Auch als Ted ihr seine Absicht
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