Bitteres Geheimnis
einer Schwimmerin; die Arme langgliedrig und kraftvoll; die Hüften sanft gerundet unter der schmalen Taille; die Schenkel nicht zu fleischig - fest und straff; die langen Beine glatt und wohlgeformt. Die Haut war leicht gebräunt; nirgends ein Makel; matt glänzend im Spiel von Licht und Dunkel.
Ihr Blick blieb auf ihren Brüsten haften. Sie starrte auf die Brustwarzen. Sie erschienen ihr dunkler, ein wenig größer als vorher.
Und die Brüste selbst - war es ihre Einbildung, oder waren sie tat sächlich größer geworden?
Zögernd hob Mary eine Hand, umschloß behutsam eine Brust und drückte leicht. Es tat weh.
Sie senkte den Arm wieder, konnte sich aber noch immer nicht vom Spiegel abwenden. Sie hatte das Gefühl, eine fremde Frau zu betrachten, mit ihrem forschenden Blick das Schamgefühl dieser Frau zu verletzen. Gleichzeitig aber fühlte sie sich so distanziert und unpersönlich, als inspiziere sie ein Standbild.
Aus dem Flur hörte sie gedämpfte Schritte und hielt einen Moment den Atem an, um zu lauschen. Vor ihrer Zimmertür hielten die Schritte an, aber nur einen Moment. Dann verklangen sie in Richtung zum Schlafzimmer der Eltern.
Mary atmete auf und setzte die Erkundung ihres Körpers fort. Als ihr Blick ihren Bauch erreichte, hob sie beide Hände und legte sie auf die kühle Haut unterhalb ihres Nabels. Sie drückte leicht, als wolle sie ergründen, was unter der Trennwand aus Fleisch und Muskeln verborgen war. Ihr Bauch war flach und straff. Aber was hatte Dr. Wade gesagt? »Es wird bald zu sehen sein ...«
Sie runzelte die Stirn. Was würde zu sehen sein? Unter ihren Händen lag ein Geheimnis, und gleich, welcher Art es war, Mary hätte damit am liebsten nichts zu tun gehabt. Dr. Wade mußte sich getäuscht haben. Nichts wuchs da in ihrem Bauch.
Sie senkte die Hände und richtete ihren Blick auf ihr Gesicht. Was ging mit ihr vor? Woher kam die morgendliche Übelkeit? Woher das unerklärliche Anschwellen ihrer Brüste? Zwei Ärzte behaupteten, eine Schwangerschaft sei die Ursache, aber Mary wußte, daß das unmöglich war.
Sie bemühte sich, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie über solche Dinge wußte. Vielleicht sollte sie einmal mit Germaine reden. Germaine hatte Erfahrung; ihr Freund, der Student, war zwanzig und hatte Germaine Liberalität gelehrt; sie redeten dauernd von Revolution und freier Liebe. Aber Mary hatte Schwierigkeit, mit anderen über Sexualität oder die eigene Körperlichkeit zu sprechen. So nahe sie und Germaine einander standen, so viele Geheimnisse sie miteinander teilten, diese Themen waren stillschweigend tabuisiert worden zwischen ihnen.
Darum suchte Mary jetzt in ihrem eigenen begrenzten Wissen nach der wahren Ursache dessen, was mit ihr vorging. Und etwas Fiel ihr ein. Ihre Periode. Wann hatte sie das letzte mal ihre Periode gehabt? Es war lange her ...
Neue Schritte im Flur lenkten Mary ab. Dann hörte sie die Stimmen ihrer Eltern.
»Du meinst, wir sollten zu einem Psychiater gehen?« fragte Lucille, die, den Kopf in die Hand gestützt, an ihrem Toilettentisch saß. »Ich weiß nicht, Ted. Davon halte ich nicht viel.«
»Ich denke, es wäre zu ihrem Besten«, sagte Ted müde.
Lucille starrte in den Spiegel über dem Toilettentisch und sah eine Fremde darin. »Weißt du, woran mich das erinnert, Ted?« fragte sie leise, eigentlich mehr zu sich selbst sprechend als zu ihrem Mann. »An Rosemary Franchimoni. «
»Lucille, laß das jetzt -«
»Ich habe lange mit Rosemary Franchimoni gesprochen«, fuhr sie fort. »Kurz vor ihrem Tod — du weißt doch, im Krankenhaus. Und sie sagte mir, daß sie das Kind von Anfang an nicht haben wollte. Ted, sie wollte das Kind überhaupt nicht. Sie sagte mir, sie hätte Angst, weil der Arzt ihr dringend von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten hatte.«
Lucille beobachtete die Bewegungen ihrer Lippen. Hinter ihr stand Ted reglos in der Mitte des Zimmers.
»Es war gemein, Ted. Ungerecht. Kein Mensch hat Rosemary Franchimoni gefragt, was sie wollte ...« Lucille schluckte. »Es ist nicht Marys Schuld, Ted. Es ist die Schuld des Jungen. Ich weiß doch, wie Männer einen zwingen, indem sie behaupten, es sei ihr gutes Recht. Und Frauen müssen ...« Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine, ich hab damit heute keine Probleme mehr, ich kann eigentlich von Glück sagen. Mir kann nichts passieren, seit ich operiert bin -«
»Lucille, bitte -«
»Aber was wäre, wenn ich nicht operiert worden wäre? Was wäre, wenn dauernd
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