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Bitteres Geheimnis

Bitteres Geheimnis

Titel: Bitteres Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Mary, du siehst ganz anders aus.«
    »Findest du?«
    »Ja. Du bist dick geworden.« Amy kicherte.
    »Euer Vater wird bald kommen«, sagte Lucille hastig.
    Mary sah ihre Mutter an. Ein seltsamer, gequälter Ausdruck flog über Lucilles Gesicht. Dann wurde es weich und traurig. »Bitte, Mary Ann, laß uns warten, bis euer Vater da ist.«
    »In Ordnung.«
    Lucille ließ Mary los und ging zur Tür. »Amy, pack du jetzt erst mal deinen Rucksack aus und zieh dich um. Eine Dusche könnte dir wahrscheinlich auch nicht schaden. Wenn du fertig bist, kannst du uns erzählen.«
    Amy packte ihren Rucksack und lief aus dem Zimmer. »Ich weiß, warum du dick geworden bist, Mary«, rief sie, während sie durch den Flur rannte. »Das kommt von dem vielen Ahornsirup, den sie in Vermont essen.«
    Sie fuhr mit einem Ruck aus dem Schlaf. Einen Moment lang wußte sie nicht, wo sie war. Sie lauschte in die Dunkelheit. Alles war still. Langsam fand sie sich zurecht. Sie war zu Hause, in ihrem Zimmer.
    Wie spät mochte es sein? Im Haus rührte sich nichts. Nicht einmal das leise Brummen der Klimaanlage war zu hören. Sie setzte sich auf und merkte, daß sie völlig angekleidet war. In Schnappschüssen kam die Erinnerung. Amy, die im Schwimmbecken planschte; ihre Mutter in der Küche, mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt; das Aufflammen der Lichter im Haus, als es dunkel wurde; das Abendessen zu dritt, ohne ihren Vater, der noch nicht heimgekommen war; sie und Amy beim Abspülen in der Küche; ihre Mutter, die immer wieder zum Fenster hinaussah; Amy im Wohnzimmer beim Fernsehen; sie selbst auf dem Weg in ihr Zimmer, um sich hinzulegen.
    Sie knipste die Nachttischlampe an und sah auf die Uhr. Halb zehn. Sie glitt aus dem Bett, ging zur Tür und öffnete sie. Am Ende des Flurs schimmerte gedämpftes Licht. Mary hörte Stimmen und ging dem Klang nach. Wie eine Einbrecherin schlich sie über den dicken Teppich. An der Wohnzimmertür blieb sie stehen. Die Schiebetür zur Terrasse war offen. Es roch nach frisch geschnittenem Gras. Ihre Eltern saßen nebeneinander auf dem Sofa, Amy gegenüber.
    Mary blieb unbemerkt hinter dem Türpfosten stehen und hörte ihre Schwester sagen: »Aber wie kann denn Mary ein Kind bekommen, wenn sie nicht verheiratet ist?«
    Mary zitterten die Knie. Sie lehnte sich an die Wand. Sie fühlte sich verraten. Ihr hättet warten können, dachte sie zornig. Ihr hättet warten müssen.
    »Jede Frau kann ein Kind bekommen, Amy«, antwortete Lucille, »auch wenn sie nicht verheiratet ist.«
    »Aber wie denn?«
    Mary hielt sich am Türpfosten fest und spähte vorsichtig ins Zimmer. Ihr Blick flog zum Gesicht ihres Vaters. Fast tat er ihr leid; er sah so unglücklich aus.
    »Schau mal, Amy, wenn ein Mädchen ein bestimmtes Alter erreicht hat, bekommt es jeden Monat seine Regel. Und wenn das geschieht, kann sie auch jederzeit Kinder bekommen. Wenn sie dann mit einem Mann zusammen ist, wenn sie sich lieben, ich meine « Lucille stockte.
    »Du meinst, wenn sie miteinander schlafen?«
    »Ja. «
    »Und das hat Mary getan?«
    Ehe ihre Mutter oder ihr Vater darauf antworten konnten, trat Mary ins Zimmer. »Nein«, sagte sie klar, »ich habe mit niemandem geschlafen.«
    Lucille und Ted hoben ruckartig die Köpfe, Amy fuhr herum. »Es ist mir gleich, was ihr denkt. Ich hab nie was mit einem Jungen gehabt.«
    »Aber wie kannst du dann ein Kind bekommen?« fragte Amy verwirrt.
    Einen Moment war Mary unsicher und sah hilfesuchend ihren Vater an. Als er nicht reagierte, ging sie zu Amy. Sie kniete neben ihr nieder und sah ihr in die verwirrten braunen Augen. »ich kann es dir nicht erklären, Amy«, sagte sie ruhig und klar. »Niemand kann es erklären, nicht einmal der Arzt, bei dem ich in Behandlung bin. Ich war auf einmal schwanger, ohne jeden Grund.«
    Amy machte ein Gesicht, als säße sie über einer schweren Rechenaufgabe. »Das versteh ich nicht. Wie kann man ohne Grund schwanger werden?«
    »Das weiß ich auch nicht«, sagte Mary leise.
    Das Schweigen im Zimmer war so drückend wie die Luft in einem Treibhaus. Es füllte den Raum bis in die äußersten Winkel, und keiner konnte sich in dieser Stille regen. Amy und Mary sahen einander immer noch an. Lucille senkte den Kopf und blickte auf ihre Hände. Ted sank tiefer ins Sofa und starrte ins Leere.
    Dann schüttelte Amy den Kopf. »Aber wenn du nichts Schlimmes getan hast, Mary«, sagte sie, »warum wollen Mama und Daddy dich dann verstecken?«
    Die Sebastianskirche

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