Bitteres Geheimnis
jeden Tag bei der Kommunion.«
Mit einem befriedigten Lächeln lehnte er sich in seinem Sessel zurück und faltete die Hände auf dem Bauch. »Das freut mich wirklich, Mary. Wirklich.«
Sie hätte das Lächeln gern erwidert, aber sie konnte seinen Blick nicht lange aushalten. Wieder senkte sie die Lider.
»Pater Crispin?«
»Ja?«
»Ich -« Sie brach ab.
»Was ist denn, Mary?«
»Pater, ich weiß immer noch nicht, warum ich schwanger bin.«
Sie sah ihn vorsichtig an. Er wirkte so starr wie aus Stein gehauen, schien nicht einmal zu atmen. Dann beugte er sich plötzlich vor. »Du weißt immer noch nicht, warum?«
Mary schüttelte den Kopf.
Pater Crispin stemmte beide Hände gegen die Schreibtischkante und neigte sich weit zu ihr hinüber. »Du weißt immer noch nicht, warum du in diesem Zustand bist?«
»Nein, Pater.«
Er zwinkerte. »Mary, du bist schwanger, weil du eine unkeusche Handlung begangen hast. Das weißt du doch.«
»Aber ich hab nichts getan, Pater.«
Er zwinkerte mehrmals hintereinander sehr schnell. »Aber - du bist doch im St. Anne's zur Beichte gegangen. Du hast an der heiligen Kommunion teilgenommen.«
»Ja. Pater Grundemann hat mir die Absolution gegeben.«
»Ach! Wenn du überzeugt bist, keine unkeusche Handlung begangen zu haben, was hast du dann gebeichtet?«
»Daß ich versucht habe, mir das Leben zu nehmen.«
Eisiges Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Und als Pater Crispin sprach, war seine Stimme kalt. »Mary Ann McFarland, soll das heißen, daß du an der heiligen Kommunion teilgenommen hast, obwohl du wußtest, daß auf deiner Seele eine Todsünde lastete, die du nicht gebeichtet hattest?«
»Nein, Pater«, entgegnete sie klar, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. »Ich habe Pater Grundemann alle meine Sünden gebeichtet und habe dafür die Buße getan, die er mir auferlegt hat.«
»Wovon sprichst du, Mary?«
»Von dem Selbstmordversuch.«
»Und was ist mit der Sünde der Fleischeslust?«
Sie duckte sich unter dem zornigen Blick des Priesters. »So eine Sünde habe ich nicht begangen, Pater.«
Er richtete sich auf, schloß die Augen und faltete wieder die Hände. Mit gekräuselten Lippen schien er ein kurzes lautloses Gebet zu sprechen. Dann öffnete er die Augen wieder und sagte mit langgeübter Geduld: »Mary, hältst du immer noch an der Behauptung fest, unberührt zu sein?«
»Es ist keine Behauptung, Pater. Es ist die Wahrheit. Ich bin unberührt.«
Einen Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, legte Pater Crispin die Stirn in die offene Hand, so daß Mary sein Gesicht nicht sehen konnte. Mary wartete voll Unbehagen. Schließlich hob der Priester den Kopf und sah sie streng an.
»Willst du behaupten, es handle sich bei dir um eine unbefleckte Empfängnis, Mary?«
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
»Mary, du weißt, daß eine Frau nur auf einem Weg ein Kind empfangen kann. Du bist nicht dumm, Mary. Du bist schwanger, weil du mit einem Mann intim warst. Und da du es nicht gebeichtet hast, lastet diese Sünde immer noch auf deiner Seele. Dennoch hast du an der heiligen Kommunion teilgenommen.«
» Pater -«
»Mary Ann McFarland, wofür hältst du mich eigentlich? Beichte deine Sünde und reinige dich. Du bist nicht nur mit einer Todsünde belastet, du hast dich dazu noch der Gotteslästerung schuldig gemacht.«
Sie duckte sich noch tiefer. »Nein«, flüsterte sie, »das habe ich nicht getan.«
»Wie würdest du es denn nennen, wenn jemand im Stand der Sünde zur heiligen Kommunion geht?«
»Aber ich war doch nicht -« Der Priester, der vor ihr in seinem Sessel saß, schien ihr zu einem Riesen heranzuwachsen. Überwältigend in seiner Bedrohlichkeit, sah er sie an, und in seinen Augen funkelte ungezügelter Zorn.
»Pater Crispin, ich schwöre, ich habe niemals etwas getan -«
»Mary!« Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und streckte die Hand nach ihr aus. »Mary, du kommst jetzt mit mir in die Kirche. Sofort.«
Sie zuckte zurück.
»Nicht zur Beichte. Um zu beten. Wenn du Angst hast, müssen wir zu Gott beten und ihn um seinen Rat bitten. Ich weiß nicht, was dich zwingt zu schweigen, Mary, ob du schweigst, um den Jungen zu schützen, oder weil du dich schämst, deine Sünde einzugestehen. Ganz gleich, was es ist, du mußt dich jetzt an Gott wenden und ihn um seine Hilfe bitten. Komm jetzt, Mary, wir gehen jetzt in die Kirche und knien gemeinsam zum Gebet nieder. Öffne Gott dein Herz. Laß ihn eintreten. Laß dir von
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