Bitterfotze
Medien als Talibanrede bezeichneten Rede sagte: Frauen geben und Männer nehmen. Ich habe genau verstanden, was sie meinte, und wurde traurig, weil jemand genau das formulierte, was ich ahnte; es gibt Strukturen, eine Art Ideologie oder Religion, die wir Patriarchat nennen können, die uns sogar in unseren privaten Liebesbeziehungen beeinflusst. Die bewirkt, dass wir Unterschiedliches voneinander und von der Liebe erwarten. Die die Macht der Männer und die Machtlosigkeit der Frauen legitimiert. Sie lässt uns an uralte, vermoderte Geschlechterrollen glauben und nach ihnen leben, obwohl sie uns alle zutiefst unglücklich machen.
Aber es tut weh, sich der Lieblosigkeit unserer Beziehungen zu stellen, und im Fernsehen treten hochrote Journalisten auf und sagen, was für eine Schande es sei, die Situation der Frauen in Afghanistan mit der (verwöhnter) schwedischer Frauen zu vergleichen.
Und dann spielte es irgendwie keine Rolle mehr, wie sehr Gudrun Schyman zu erklären versuchte, dass sie die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan nicht kleinreden wollte, dass sie nur meinte, es gäbe patriarchale Unterdrückung sowohl in Afghanistan als auch in Schweden, sie drücke sich jedoch unterschiedlich aus (Frauen in Schweden tragen z. B. keine Burka usw.). Aber der Grund, der Kern der Unterdrückung habe seinen Ursprung in der Geschlechtermacht. Sagte Gudrun Schyman. Aber da hörte schon lange niemand mehr zu, man hörte nur noch, wie hochrote Journalisten und Zuhörer schrien, wie gekränkt sie seien, als Taliban bezeichnet zu werden.
Ich versuche, das Ganze mit Humor zu sehen. Bis zu einem gewissen Grad sind hochrote Männer im Fernsehen lustig, aber ihre Argumentation ist dennoch schwer zu ertragen.
Es ist eine unglaublich geschickte Machtstrategie, den eigenen Anteil an einer Unterdrückung nicht wahrhaben zu wollen. Eine Unterdrückung unsichtbar zu machen, indem man sie kleinredet. Fast noch deutlicher ist das in der Klassenfrage. Ich denke an die vielen Interviews mit Menschen aus der Oberschicht, die auf die Frage, in welcher Klasse sie aufgewachsen seien, ärgerlich geantwortet haben, sie verstünden die Frage nicht. Und dann fortfuhren, dass die Frage nach der Klasse überholt sei, dass es nur individuelle Unterschiede gäbe. Manchmal haben Menschen, die ich interviewt habe, sich schlankweg geweigert, die Frage zu verstehen. Wie die junge Stilexpertin und Zeitungsredakteurin, über die ich etwas fürs Radio gemacht habe.
»Aber in was für einer Gegend bist du aufgewachsen?«, fragte ich.
»In Örgryte«, antwortete die Stilexpertin.
Eine der absolut reichsten Gegenden in Göteborg.
»Und wie würdest du diese Gegend beschreiben?«, fragte ich vorsichtig weiter.
»Keine Ahnung, da musst du schon das Bauamt in Göteborg anrufen«, antwortete die Stilexpertin ärgerlich.
»Gibt es da viele Hochhäuser, Mietwohnungen oder eher Einfamilienhäuser …?«, fuhr ich fort.
»Gemischt, denke ich«, sagte sie und schaute mich aus aufgerissenen blauen Augen an. Sie schüttelte ihre langen, gepflegten blonden Haare, und obwohl sie aussah wie eine Barbiepuppe, wusste ich, dass sie nicht dumm war. Im Gegenteil, und genau das störte mich, dass diese kompetente Barbie sich dumm stellte, deshalb fragte ich sie weiter über ihre Klassenzugehörigkeit aus. Bis sie genug hatte und ärgerlich sagte, wenn sie denn zu einer Klasse gehörte, dann zur Arbeiterklasse, denn ihre Eltern, Mutter Ärztin, Vater Schiffsmakler, hätten immer mehr als sechzig Stunden pro Woche gearbeitet. Als ich sagte, dass Arzt und Schiffsmakler nicht gerade Berufe sind, die man der Arbeiterklasse zurechnet, antwortete sie, jeder habe das Recht, den Klassenbegriff so zu definieren, wie er wolle. Und das sei doch irgendwie toll. Und so gemein.
Die Welt scheint sich in zwei Sorten Menschen aufzuteilen: diejenigen, die finden, dass es in der Welt gerecht zugeht, und diejenigen, die finden, dass es ungerecht zugeht.
Und ganz zufällig scheinen meistens Menschen, die in privilegierten Verhältnissen groß geworden sind, zu leugnen, dass es Klassenunterschiede gibt.
Und ganz zufällig sind es meistens Männer, die finden, dass es keine Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen gibt.
Im Grunde glaube ich, dass genau dieses Leugnen mich mehr als alles andere bitterfotzig macht. Ich glaube, es hat etwas mit der Gleichgültigkeit zu tun. Dieses Gefühl von Ohnmacht und Unsichtbarkeit, als ob man laut geschrien und niemand reagiert hätte, obwohl man
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