Bitterfotze
weiß, dass alle einen gehört haben müssen.
Und es ärgert mich, dass es so effektiv ist, vielleicht die schlaueste Art, die Unterdrückung beizubehalten.
Jeglicher Dialog verstummt, man muss das Band zurückspulen und von vorne anfangen.
Natürlich hat sich der Klassenbegriff in den letzten hundert Jahren verändert. Und natürlich kann ein Fliesenleger ohne Ausbildung mehr verdienen als eine ausgebildete Bibliothekarin. Arbeiterklasse bedeutet heute etwas anderes als 1920. Und dennoch leben wir in einer Gesellschaft, in der eine angelernte Pflegekraft in anderen ökonomischen und sozialen Verhältnissen lebt als eine blonde Stilexpertin mit einer Ärztin als Mutter und einem Reeder als Vater.
Was die Leugnung von Ungerechtigkeiten in Liebesbeziehungen angeht, so gibt es einen nie versiegenden Strom von triftigen Gründen, die erniedrigende, ungleiche Einteilung zu entschuldigen. Ein Teil der Leugnung und Unsichtbarmachung ist zudem die Schwierigkeit zu definieren, was Liebe eigentlich ist. Ich denke viel über den Satz nach, dass die Liebe ist, was die Liebe macht. Wenn wir die Liebe mehr als Handlung und weniger als Gefühl betrachten würden, dann würden automatisch Verantwortung und Verpflichtungen daraus folgen. Wenn wir aufhören würden, die Liebe nur als ein Gefühl zu sehen, dann würde es uns leichter fallen, gegen das Argument zu streiten, dass Liebe sich bei verschiedenen Individuen verschieden ausdrücken kann. Wenn wir eine gemeinsame Definition von Liebe hätten, würden wir nicht so leicht auf die romantischen Bilder aus Hollywood hereinfallen, die nur die Mängel einer Beziehung verdecken. All die Geschichten, wie langweilig die Liebe ohne Romantik ist, ohne Rosen und Champagner. Geschichten, die ich zu Tausenden gelesen und gesehen habe und die mich glauben lassen, meine Sehnsucht richte sich auf prunkende Schnittblumen.
Ich kann gut ohne Rosen und Champagner leben, aber die Ungleichheit ertrage ich nicht. Sie darf in der Beziehung zweier Menschen, die behaupten, sich zu lieben, keine Existenzberechtigung haben.
Könnte es sein, dass so viele die Meinung vertreten, die Liebe bedeute für verschiedene Menschen Verschiedenes, weil wir, wenn wir Liebe genau definieren würden, auch unsere Sehnsucht erkennen müssten?
Was ich am meisten daran hasse, bitterfotzig zu sein, ist das Gefühl von Geiz, das langsam von mir Besitz ergreift. Ein Teufelskreis aus Geiz, aus dem man sich nur schwer befreien kann. Wenn Kleinigkeiten groß werden. Ich möchte kein geiziger, kleinlicher Mensch sein. Aber Großzügigkeit ist ein Luxus, den man sich nur leisten kann, wenn es einem gut geht und man gerecht und liebevoll behandelt wird.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird es: Die Liebe, das Allergrößte, ist vom Patriarchat, vom Kapitalismus, von Hollywood gekidnappt und in etwas viel Geringeres und Falscheres verwandelt worden. Genauso ist auch die Ehe gekidnappt worden. Anstatt eine reine Manifestation der Liebe zu sein, ist sie etwas geworden, was man eher mit Königsfamilien, Carl Bildt und anderen bürgerlichen Herrschaften verbindet und mit Konventionen, die die Benimm- und Etiketteexpertin Magdalena Ribbing in ihrer hochherrschaftlichen Wohnung in Östermalm jubeln lässt. Die ganze institutionalisierte Unterdrückung, die so sehr zur Norm geworden ist, dass wir sie nicht einmal mehr sehen, verdeckt die reine Liebe. Das Allergrößte. Kein Wunder, dass ich mich schon nach ein paar Wochen über meine eigene Hochzeit lustig machen musste. Kein Wunder, dass ich und meine gleichberechtigten Ideale nicht verheiratet sein wollten. Ich wollte doch nur ein Fest der Liebe feiern.
Und auch kein Wunder, dass ich hier auf Teneriffa sitze und meine bitterfotzigen Gedanken nicht zügeln kann. Meine nachtschwarzen Beobachtungen. Ich kann ganz einfach nicht mehr die Augen verschließen, und das macht mich wohl zur Bitterfotze, oder? Ich weiß zu viel. Ich weiß, dass Frauen sehr oft aufblühen, wenn der erste Schmerz nach einer Scheidung sich gelegt hat, während Männer plötzlich feststellen, wie allein sie sind. Was für eine schlechte Beziehung sie zu ihren Kindern haben, wie wenige Freunde sie haben, weil sich nämlich die Frau um die Kinder und die Freunde und die Verwandten kümmerte, während sie arbeiteten und Karriere machten.
Auch die Männer zahlen einen Preis für ihre Überordnung.
Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau mit müden Beinen und Migräne. Und hinter jeder
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