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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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Kreuzberg ein junges Mädchen. Als die Mutter ihre Tochter vor dem Fernseher liegen sah, fiel auch sie um und starb an einem Herzinfarkt. Beide sind in die Heimat geflogen, sind von diesem Leben in das wahre Leben zu Allah gegangen. Das Leben ist ihnen erspart geblieben.« Sie seufzte und fragte dann: »Wie alt war Ihre denn?« Die Schwiegermutter wusste es nicht. Zwei junge Mädchen riefen hinüber: »Vierzig!«
    »Ja, ja«, sinnierte die Dicke, »vor 25 Jahren habe ich sie geholt, nun muss sie zurück in die Heimat. Allah sei Dank, die Kindersind groß. Aber mein Sohn, was soll er nun machen? Ich werde mich nun wieder kümmern müssen.« Andere erzählten von plötzlich verstorbenen Schwägerinnen, Töchtern, Schwiegermüttern, bis es einem bärtigen Mann zu viel wurde: »Fragt nicht so nach dem Tod«, mahnte er, »wenn er da ist, ist er da, da kann man nichts machen. Die Krankheit ist nur ein Vorwand, wen Gott ruft, bestellt er zu sich. Mischt euch nicht ein in Gottes Entscheidungen!«
    Obwohl ich in dieser Situation gern jemandem anvertraut hätte, dass ich fürchtete, meinen Onkel vielleicht nicht mehr lebend anzutreffen, fand ich niemanden, dem ich von meinen Ängsten hätte erzählen wollen, obwohl unser Schicksal uns verband. Aber mir anhören zu müssen, dass Allah auch vorherbestimmt, was mit meinem Onkel geschieht, hätte mich nicht getröstet. So schwieg ich lieber und blieb mit meinen Gedanken allein.

Ankunft und Abschied
    Es ist vier Uhr morgens, als ich im Busbahnhof in Ankara ankomme und ein Taxi nehme. Eigentlich habe er mich gar nicht mitnehmen wollen, jammert der Taxifahrer, die Tour sei ja viel zu kurz. Aber er habe Erbarmen, er lasse seine abla , seine große Schwester, aus Deutschland doch nicht mitten in der Nacht stehen. Nur nachts könne er arbeiten, erzählt er mir, wenn der, dem dieses Taxi gehört, schläft; er müsse ihm auch noch die Hälfte seiner Einnahmen abgeben. Er hält sich an mir schadlos und verlangt 15 Lira; später erfahre ich, dass er den üblichen Fahrpreis verdreifacht hat.
    Mein Cousin, ein Universitätsprofessor, öffnet die Tür und bricht in Tränen aus, als er mich sieht. Meine Tante liegt im Bett und hält meine Hand. Keiner weiß, wie es dem Kranken im Moment geht. Die Kinder haben ihn ins Krankenhaus gebracht, weil sie hoffen, ihm könne vielleicht doch noch geholfen werden, aber auch, weil sie fürchten, ihre Mutter würde es nicht überleben, wenn der Vater in der Wohnung stürbe. Ich lege mich zu meiner Tante, tröste sie und warte ungeduldig darauf, dass es endlich sieben Uhr wird. Ich muss ins Krankenhaus und Enischte sehen.
    Die jüngste Tochter fährt mit mir und ihrem Bruder zügig durch die langsam erwachende Stadt. Es sei ein kalter Frühling in diesem Jahr, erzählt sie. Die Sonne blinzelt verhalten durch den Dunst. Ankara war einmal die Stadt mit der schlechtesten Luft nicht nur in der Türkei. Seit immer mehr Hochhäuser mit Zentralheizungen die gecekondus , die wild gebauten Häuser, ablösen, in deren Bolleröfen alles verfeuert wird, was brennbar ist, kann man wieder atmen. Aber immer noch liegt der Geruch von verbrannter Braunkohle über der Stadt.
    Das Krankenhaus, auf einem Hügel gelegen, ist schon von Weitem zu sehen. Auf der Suche nach der Intensivstation steigen wir viele Treppen nach unten, in den Keller. Das Treppenhaus ist feucht und kalt und riecht nach Moder. Wir klopfen an eine Eisentür. Eine weibliche Stimme ruft: »Hier können Sie nicht rein!« Ich fange an zu zittern und bitte die Krankenschwester, als sie endlich die Tür öffnet, meinen Onkel sehen zu dürfen. Sie erkundigt sich nach seinem Namen und sagt, nachdem sie in einer Liste nachgesehen hat: »Ihr Onkel hat um vier Uhr heute Morgen die Augen geschlossen. Unser herzlichstes Beileid.«
    Meine Cousine und mein Cousin brechen in Tränen aus. »Ich möchte ihn sehen«, insistiere ich. Nach einer kurzen Beratung mit den Ärzten kommt die Schwester zurück und zeigt mir den Weg zur Leichenhalle neben der Krankenhausmoschee, die offenbar neu ist, denn an ihren Mauern liegt noch überall Bauschutt. Meine Cousine bleibt zurück und ruft mir nach: »Tu es nicht, das macht man nicht!« Ich weiß, dass der Tradition nach Frauen mit Toten nicht in Berührung kommen dürfen, aber ich bin fest entschlossen, mich nicht abweisen zu lassen.
    Ein gut gekleideter Herr mittleren Alters, der Hodscha der Moschee, fordert mich höflich auf, ihm zu folgen. Die Leichenhalle ist eiskalt, in ihre

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