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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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Wände sind lauter Schubfächer eingelassen. »Sind Sie bereit?«, fragt er. Ich nicke, und er zieht ein Schubfach heraus. In grünes Leinentuch gewickelt liegt mein Onkel vor mir. Der Hodscha schlägt das Tuch über dem Kopf zurück. Ich kann Enischtes Gesicht sehen. Diskret zieht sich der Hodscha zurück und lässt mich mit dem Toten allein.
    Da liegt er nun, mein geliebter Onkel, der mir immer wie ein Vater, wie ein großer Bruder und wie ein treuer Freund begegnete.Als so einen Vater, wie er es für dich war, hätten wir ihn auch gern gehabt, hatten mir seine Töchter und sein Sohn schon häufiger gesagt. Zu mir war er so, wie er vielleicht auch gern zu ihnen gewesen wäre. Ich habe ihn nie zu fragen gewagt, warum ihm das nicht möglich war. Das wäre eine Anmaßung gewesen, er selbst kommentierte oder kritisierte nie meine Lebensweise. Er gab mir alles, was ich mir von meinem eigenen Vater nicht zu wünschen gewagt hätte. »Ach, käme doch der Sommer, und wir könnten wieder unter dem Feigenbaum in Ayvalik sitzen und uns alles erzählen«, wünschte er sich oft und wartete mit leuchtenden Augen auf den Sommer. Der Garten in seinem Sommerhaus, den er selbst pflegte, war mit den vielen Obstbäumen und dem Blumenmeer sein ganzer Stolz.
    Ich sehe mir den friedlich schlafenden Toten genau an. In seinen Augen entdecke ich »Augentraum«, seine Nase ist leicht gebogen, seine langen grauen Brauen zeigen störrisch in alle Richtungen. Sein Kinn ist mit einem Tuch hochgebunden worden. Stolz und immer noch bestimmend liegt er vor mir.
    »Du erbarmungsloser Flegel, was fällt dir ein, mich in diesen Keller einzuliefern«, hatte er seinen Sohn vor einer Woche noch angeraunzt. Er wolle zu Hause sterben. »Das hätte Mutter nicht überlebt«, erklärt die Jüngste später. So ist er, wie so viele andere in der modernen Gesellschaft, eben doch nicht im Kreis der Familie gestorben.
    »Beten Sie ruhig, wenn es Ihnen guttut«, ermuntert mich der Hodscha. Ich beginne stattdessen ein deutsches Geburtstagslied zu summen: »Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!« Ich danke meinem Onkel für all das Schöne, mit dem er mich bereichert hat, und für all das Gute, das er hinterlässt. »Mögest du auf Rosen gebettet sein«, flüstere ich. »Dank für deine Liebe, für deine Geduld, für deine Offenheit, für deine Gabe, mir zuzuhören, mich immer wieder zu ermutigen, an mich zu glauben, nicht müde zu werden, das Leben zu lieben. Dank für deine Ermahnung, nicht zu vergessen, woher ich komme, mich zu erinnern an die Heimat in Anatolien, die rote Erde, die Berge, die eiskalten Bäche, die Lieder, die unsere Seelen besingen, die Menschen, die unsere Sprache sprechen. Das alles konnte ich mit dir teilen. Für alles hab Dank.«
    Draußen zwischen dem Bauschutt steht eine Bank. Die Sonne ist jetzt da und wärmt. Wir drei setzen uns hin. Ich kann nicht weinen, nicht eine Träne, ich bin ganz erstarrt. Mein Bruder, der über Nacht aus Bursa gekommen ist, gesellt sich zu uns. Nein, er will ihn nicht sehen, sagt er. Es schicke sich auch nicht. Der Tote gehöre nach seinem Ableben Allah, und die Gemeinde bereite ihn für Gott vor, damit er ihn empfangen kann. Der Hodscha möchte die Formalitäten erledigen. Binnen 48 Stunden muss die Leiche unter die Erde, so schreibt der Ritus es vor. Für den Mittag des nächsten Tages ist die Beerdigung angesetzt.

Im Trauerhaus
    Die Möbel in der Wohnung sind bereits umgerückt, als wir wieder nach Hause kommen, die Tische an die Wand geschoben, Stühle und Sessel aus anderen Zimmern dazugestellt. Nachbarn schleppen noch weitere Sitzgelegenheiten an. Vor der Wohnung, im Treppenhaus des neunten Stocks, hat ein Verwandter vor einem Tisch Platz genommen und empfängt die durch eine Telefonkette alarmierten Verwandten, Bekannten und Nachbarn, die meiner Tante ihr Beileid bekunden wollen.
    Die »Älteren« kommen gleich, kündigt mein Cousin an, und meint damit die älteren Männer der Familie. Als Erster erscheint der pensionierte General, ein lebenslanger Freund des Onkels, mit dem er vor über 60 Jahren in Pinarbashe, später dann »wegen der Mütze« in Istanbul zur Schule gegangen ist. Selbst in Zivil ist Enischtes Freund immer noch ganz Offizier. Er hält eine kleine Ansprache und neigt dabei, wie mein Onkel, zur großen Geste und zum Pathos: »Nun, meine Freunde, wir haben einen großartigen und liebenswerten Menschen verloren. Wir müssen nun Abschied

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