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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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hat.

Zwangsheirat
    Nach Einschätzung vieler Beobachter ist die Europäische Union mit der Osterweiterung vorerst an die Grenze ihrer Aufnahmemöglichkeiten gegangen. »Wir erweitern uns zu Tode«, kritisiert Heinrich August Winkler. Die bisher ungewöhnliche Maßnahme, anhand von Fortschrittsberichten die Entwicklung der beiden jüngsten Mitglieder, Rumänien und Bulgarien, zu überprüfen, war schon ein Indiz für die wachsende Skepsis unter den EU-Mitgliedern. In Rumänien, das zeigen die Fortschrittsberichte, haben bisher weder Maßnahmen zur entschiedenen Demokratisierung noch zur Verrechtlichung der Wirtschaft, sprich: zur Eindämmung der Korruption, Früchte getragen. Die von der EU kassierten Strukturmittel versickern offensichtlich in den Niederungen des Donaudeltas und der Walachei.
    Aber Rumänien ist mit 21 Millionen Einwohnern ein relativ kleines Mitgliedsland, den ihr entstehenden Schaden kann die Union verkraften. Ganz anders die Türkei, die als Mitglied mit der größten Bevölkerung auch zum größten Empfänger von Subventionen werden, die meisten Abgeordneten im Europaparlament stellen und die europäische Politik maßgeblich beeinflussen würde.
    Der Beitritt der Türkei, die bisher nur 30 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts ihrer europäischen Partner erwirtschaftet, würde die Union nach den bisherigen Schätzungen der EU-Kommission zwischen 16 und 27 Milliarden Euro jährlich kosten. Davon würden etwa 11 Milliarden allein für Strukturhilfen in der Landwirtschaft fällig werden. Deutschland wäre an diesen Kosten je nach Entwicklung mit 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich beteiligt. 104
› Hinweis
    Würde ein solches Abenteuer von den Mitgliedern der Europäischen Union mitgetragen werden? Einstimmigkeit ist bei der Aufnahme neuer Mitglieder erforderlich, die derzeit kaum zu erzielen sein dürfte. Der Europäische Rat hat denn auch im Kopen hagener Vertrag mit dem Prinzip der Aufnahmekapazität der EU eine Ausstiegsklausel formuliert: »Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten und ihren inneren Zusammenhalt und ihre grundlegenden Prinzipien zu wahren, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.« 105
› Hinweis Diese Frage dürfte letztlich ausschlaggebend sein.
    Die französische Politikprofessorin Sylvie Goulard, die 20012004 in der Europäischen Kommission gearbeitet und wesentlichen Anteil an der Haltung hat, die die französische Regierung zur Mitgliedschaft der Türkei in der EU bisher einnahm, hat einen treffenden Vergleich für den Beitrittsprozess gefunden, wenn sie fragt, ob er nicht eher der Vorbereitung einer Zwangsheirat gleiche. Ihrem Buch stellt sie als Motto ein Zitat aus Molières »Geizhals« voran: »Ich habe ein wunderbares Talent zum Verheiraten … Ich glaube, wenn ich es mir in den Kopf setzte, könnte ich sogar den Großtürken mit der Republik Venedig verheiraten.« 106
› Hinweis Sie argumentiert nicht gegen die Aufnahme der Türkei, sondern stellt fest, dass Europa sich die »Mitgift« für diese Ehe derzeit weder politisch noch ökonomisch leisten könne.

Teurer Mocca
    Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind so etwas wie das »Moccatrinken« vor einer türkischen Ehe. Beim Mocca wird Brautwerbung betrieben, vor allem der Brautpreis ausgehandelt. Dass er hoch ist, wissen die EU-Mitglieder, und auch aus diesem Grund ist die Skepsis bei vielen Europäern groß. Erdogan kanzelt solche Bedenken gern als Ausdruck von Feindseligkeit ab, um seinerseits zu drohen: »Sollte die Europäische Union nicht die von uns gewünschte Entscheidung treffen, wird es der Türkei nicht schwerfallen, auf Grund ihres immensen Potenzials einen anderen Weg einzuschlagen.« 107
› Hinweis
    Das hört der deutsche Außenminister Steinmeier gar nicht gern. Mit sorgenvoller Stirn pflegt er – wie schon sein Vorgänger Joschka Fischer – auf die negativen Folgen einer Ablehnung hinzu weisen. Zu wichtig sei die geopolitische Bedeutung des Landes für die westliche Staatengemeinschaft. Ganz so, als sei die Türkei nicht jetzt schon Nato-Partner und eng mit der EU verbunden. Die Optionen für die Türkei, sich anders zu orientieren, sind überschaubar. Sie könnte sich stärker an die US A anlehnen, die mit Nachdruck einen EU-Beitritt der Türkei unterstützt; die Amerikaner haben ein großes Interesse daran, die

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