Bittersueße Wahrheit
Selbstmitleid und Vorwürfe nutzten jetzt niemandem mehr.
Aber um Rose würde er sich noch kümmern. Später! Wenn alles vorbei wäre. Kein Loch konnte so klein sein, in das sie sich hätte verkriechen können und kein Ort so verborgen liegen, dass er sie nicht fände.
Wie ein Racheengel folgte er Rafael in die Villa.
***
Katelyn schlug das Herz bis zum Hals. Am Morgen schien die Welt noch völlig in Ordnung zu sein und jetzt baumelte sie mit den Armen nach oben gefesselt an einer massiven Eisenkette, die in der Mitte des Raumes von der Decke hing und an deren unterem Ende Handschlaufen befestigt waren, in denen nun ihre erschlafften Hände steckten. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, und sie stand angestrengt auf ihren Zehenspitzen, um nicht unter der strammen Eisenkette zusammenzusacken wie ein Sack. Katelyn wusste nicht, wie lange sie sich würde noch aufrecht halten können, denn ihre Zehen schmerzten schon gewaltig und diese unbequeme, qualvolle Körperhaltung grenzte bereits an dem, was sie noch ertragen konnte. Ihre Schmerzgrenze schien bald überschritten zu sein. Ließ sie sich hängen, überkam sie das starke Gefühl, ihre Schultern würden sich gleich auskugeln. Versuchte sie, aufrecht stehen zu bleiben, musste sie sich auf ihre Zehenspitzen stellen, was zu einem sehr schmerzhaften Stechen in ihren Füßen führte; dieser Belastung konnte sie unmöglich noch länger standhalten. Es kostete sie all ihre Kräfte. Im steten Rhythmus wechselte sie von hängen auf aufrecht stehen und umgekehrt. Sie war jedoch bereits am Rande ihrer Erschöpfung angelangt – was ehrlich gesagt kein Wunder war – und ihr war klar, dass sie diese wechselhafte Haltung sicherlich nicht mehr lange würde durchhalten können. Sie würde langsam aber sicher daran zerbrechen. Doch viel quälender noch als diese unerträgliche Stellung war die Ungewissheit darüber, was nun mit ihr geschehen sollte. Auch schwirrte ihr der Kopf, wenn ihr die Worte des Mannes wieder in den Sinn kamen, der sie hatte mit Gewalt hierherzerren lassen. All ihre Versuche, sich dagegen zu wehren, waren kläglich gescheitert. Am Ende war sie zu erschöpft gewesen, um noch weiteren Widerstand zu leisten. Auch wusste sie immer noch nicht, wie sie überhaupt erst hierher gelangen konnte, ja erst in diese verquere Lage geraten war. Sie erinnerte sich nur vage an das fürchterliche Gespräch, das sie mit Rose geführt hatte. Eigentlich ihre letzte Erinnerung, bevor sie hier an diesem grässlichen Ort die Augen wieder aufgeschlagen hatte. Und dann all die Fragen, die diese fremden Menschen an sie gestellt hatten! Keine einzige konnte sie beantworten. Keine einzige davon verstand sie. Und dann war da dieser schreckliche Mann mit der hässlichen Narbe im Gesicht. Immer wieder hatte er sie beschuldigt zu lügen. Was wollte dieser Mann nur von ihr? Und wovon sprach er da die ganze Zeit? Nichts, aber auch rein gar nichts hatte sie verstanden. Ihr war auch nicht klar, was diese Leute ständig mit beschädigter Ware meinten, wenn sie untereinander von ihr sprachen, als wäre sie unsichtbar. All das blieb ihr bis jetzt ein fürchterliches Rätsel. Und sie weigerte sich, daran zu glauben, was für grässliche Dinge man ihr über Simon erzählt hatte. Sie war ganz sicher nicht seine Sklavin! Und er hatte sie sicherlich auch nicht dazu gezwungen, sich ihm zu unterwerfen oder gar versucht, sie gewaltsam zum Gehorsam zu erziehen. Was er ja offensichtlich laut dieser Männer sowieso nicht richtig gemacht hatte. Zumindest warfen sie ihm Unfähigkeit vor und hielten ihn in dieser Beziehung für völlig inkompetent. Diese Menschen waren alle wahnsinnig! In was für eine kranke Welt war sie da nur hineingeraten? Schon seit über einer halben Stunde baumelte sie in diesem Raum an der Decke. Man hatte sie einfach alleine gelassen, nachdem man sie an den Handschlaufen angekettet und wie ein Stück Vieh an der Eisenkette hochgezogen hatte. Nun hing sie da und hatte außer ihrer Verzweiflung niemanden mehr um sich herum. Sogar ihr lautes Unterbewusstsein hatte sich verabschiedet und ins hinterste Eck verkrochen. Nicht einmal ihr Verstand meldete sich zu Wort, der dieses unfassbare Szenario anscheinend immer noch nicht verdaut hatte.
Wie ein verschrecktes Tier ließ sie den Blick im Raum umherschweifen. Er war sehr hoch , und rechts und links von ihr befanden sich riesige, hohe Fenster, vor denen massive Vorhänge hingen, die zugezogen waren. Das fahle Licht im Raum,
Weitere Kostenlose Bücher