Bittersueße Wahrheit
das von den Wandleuchten abgestrahlt wurde, ließ die Farbe der Vorhänge und der Wände nicht genau bestimmen. Irgendwie wirkte alles in diesem gedämpften Licht grau in grau. Ja, fast schon schwarz. Ringsherum standen zahlreiche Sessel aufgereiht wie in einem Theater. Knapp zwei Meter von ihr entfernt befand sich auf einem flachen Podest ein Pult aus massivem, dunklem Holz. Dieser Raum wirkte auf sie, als säße sie in einem altertümlichen Gerichtssaal. Krampfhaft versuchte Kate, den Kopf so zu drehen, um zu der zweiflügligen, hohen Tür hinüberzublicken. Ihr verzweifelter Versuch, sich erneut aus den Handschlaufen zu befreien, war ebenfalls fehlgeschlagen. Ihr verängstigter Hundeblick hätte sicherlich an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit jedermanns Herz erweicht; doch hier schien es niemanden zu interessieren. Der Raum erdrückte sie förmlich, obwohl sich niemand darin befand. In dieser Stille wirkte sogar ihr leiser Atem entsetzlich laut. Träumte sie nur? Oder passierte das hier alles wirklich? Langsam zweifelte sie an ihrem Verstand. Die unerträglichen, qualvollen Schmerzen in ihren Armen erinnerten sie jedoch immer wieder daran, dass sie wach war. Es war grausame Wirklichkeit. Ständig spielte sie im Kopf die unterschiedlichsten Szenarien durch. Wie sollte sie dem Ganzen nur entfliehen? Suchte Simon bereits nach ihr? Wusste er überhaupt schon, dass sie verschleppt wurde? Oder war es ihm am Ende egal? So wie es die anderen gesagt hatten. Das alles hörte sich immer mehr an wie ein schlechter Scherz. Am liebsten hätte sie schallend laut gelacht, wenn ihre trostlose und ziemlich ausweglose Situation nicht zum Weinen gewesen wäre. Denn so wie es aussah, würde sie sich niemals alleine daraus befreien können.
Während Katelyn verzweifelt versuchte, sich abermals aus dieser ausweglosen Lage zu befreien, hörte sie plötzlich ein lautes Stimmengewirr vor der verschlossenen Tür. Augenblicklich erstarrte sie am ganzen Körper und kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie drehte ihren Kopf so gut es ging zur Seite, um einen Blick auf die Tür zu erhaschen. Im nächsten Augenblick wurde sie aufgeschlagen und zahlreiche Männer in schwarzen Anzügen betraten den Raum. Allesamt gingen sie zielstrebig auf die Sessel zu, so als wisse jeder von ihnen genau, welcher Platz ihm zugewiesen war. Waren sie allesamt Zuschauer? Ihr Publikum? Doch was für ein grausames Schauspiel oder gar unvorstellbares Spektakel sollte hier jetzt stattfinden? Und welche Rolle spielte sie in diesem grässlichen Stück? Katelyn starrte entsetzt in alle Richtungen, als sich die Männer gemütlich auf den Sesseln niederließen und ihre neugierigen Blicke auf sie richteten. Das Blut schoss ihr ins Gesicht und färbte ihr blasses Gesicht augenblicklich rot. Ihre Wangen glühten, so als hätte sie mit einem starken Fieber zu kämpfen, und ihr Herz schien in Tausend Stücke zerspringen zu wollen. Sie fühlte sich immer unbehaglicher. Vor allem aber, weil sie sie mit ihren gierigen Blicken förmlich auszogen. Sie hatte immer noch das weiße Samtkleid an, das sie für Simon am Morgen angezogen hatte. Das hatte man ihr Gott sei Dank noch nicht vom Leib gerissen. Und sie traute dieser unberechenbaren Meute inzwischen alles zu.
O je, da war auch dieser schreckliche Mann mit der hässlichen Narbe im Gesicht! Er war derjenige gewesen, der sie hierher verschleppt hatte. Sein braunes, glattes Haar war streng nach hinten gekämmt, und seine kantigen, maskulinen Gesichtszüge ließen ihn in diesem fahlen Licht unberechenbar und grausam erscheinen. Aber allein schon sein eisiger Blick sowie seine dabei zusammengepressten Lippen sorgten für ihr augenblickliches Frösteln. Katelyn schätzte ihn auf etwa Mitte vierzig. Und wüsste sie inzwischen nicht, wozu er fähig war, niemals hätte sie ihm zugetraut, wenn sie ihm zufällig auf offener Straße begegnet wäre, dass er junge Frauen misshandelte.
Er machte ganz und gar nicht den Eindruck [zumindest nicht beim ersten Anblick], als ob er ein Verbrecher wäre, der Menschen gegen ihren Willen festhielt. Aber so, wie es aussah, täuschte er seine ahnungslose Beute wie ein gerissenes Raubtier, das sich langsam heranschleicht und dann erbarmungslos zuschlägt. Denn sein äußerer Schein trog gewaltig. Und soviel hatte sie schon begriffen: sie wurde entführt. Zwar war ihr nicht klar, wie das geschehen konnte, aber offensichtlich beherrschten diese Leute ihr Handwerk. Sein durchdringender
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