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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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dieser Zeit viel geschehen war.
    Das Erklimmen der Treppen war weitaus anstrengender als das Hinabsteigen gewesen war. Ich staunte, wie stark es einen körperlich schwächte, wenn man aufs Sitzen und Liegen beschränkt war, und empfand plötzlich noch größeres Mitgefühl für Nana.
    Die Wärterin stellte sich mir als Quistina vor und führte mich zu einer Dusche in einer Privatwohnung. »Sie müssen sich saubermachen«, sagte sie. »Da warten Leute auf Sie, die mit Ihnen sprechen wollen.«
    Ich nickte. Ich fühlte mich immer noch so wenig wie die alte Anya, dass ich mir nicht die Mühe machte zu fragen, wer auf mich warte und wie das alles gekommen sei.
    »Hat die Dusche eine Zeitschaltuhr?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Quistina. »Duschen Sie, solange Sie wollen.«
    Auf dem Weg in die Duschkabine erblickte ich mich im Spiegel. Ich sah vollkommen verwildert aus. Mein Haar war verfilzt und voller Knoten. Die Augen waren blutunterlaufen, die Ringe darunter sahen eher aus wie blaue Flecke. An den Armen und Beinen hatte ich Blutergüsse und Wunden, von der Tätowierung an meinem Knöchel ganz zu schweigen. Meine Fingernägel waren abgebrochen, die Fingerkuppen blutig – ich hatte nicht mal gemerkt, dass ich versucht hatte, im Boden zu graben, aber das war die einzig mögliche Erklärung. Ich war völlig verdreckt. Erst als ich unter der Dusche stand, wurde mir bewusst, wie absolut entsetzlich ich stank.
    Da ich es nicht selbst bezahlen musste, blieb ich sehr lange unter dem Wasserstrahl stehen. Wahrscheinlich hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht so lange geduscht.
    Als ich herauskam, lag meine Schuluniform auf dem Badezimmerschrank. Sie war gereinigt worden, selbst meine Schuhe waren geputzt.
    Beim Anziehen stellte ich fest, dass ich abgenommen haben musste. Der Rock, der noch vor wenigen Tagen perfekt gepasst hatte, war mir jetzt in der Taille einige Zentimeter zu groß und hing mir auf der Hüfte.
    »Mrs. Cobrawick würde gerne noch mit Ihnen sprechen, bevor Sie gehen«, sagte Quistina.
    »Oh.« Ich war nicht gerade erpicht darauf, diese Frau noch einmal zu sehen. »Quistina«, sagte ich, »wissen Sie vielleicht zufällig, warum ich entlassen werde?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß wirklich nichts Genaueres oder ob ich überhaupt mit Ihnen darüber reden darf.«
    »Schon gut«, sagte ich.
    »Allerdings«, flüsterte sie, »kam in den Nachrichten, dass die Leute überall in der Stadt mit Schokoladenvergiftung im Krankenhaus liegen, von daher …«
    »Du lieber Gott«, sagte ich und bekreuzigte mich. Das bedeutete, dass eine ganze Lieferung mit Fretoxin kontaminiert gewesen war. Es hatte nicht nur Gable getroffen. Er war wohl der Erste gewesen, weil unsere Familie die Schokolade vor allen anderen geliefert bekam. Die Frage war nicht mehr, ob ich Gable vergiftet hatte, sondern wer die gesamte Lieferung Balanchine Extra Herb manipuliert hatte. So etwas aufzuklären konnte Jahre dauern.
    Es stellte sich heraus, dass ich in Mrs. Cobrawicks Badezimmer geduscht hatte. Laut Quistina wartete sie nun in ihrem Wohnzimmer am Ende des Flurs auf mich.
    Mrs. Cobrawick trug ein förmliches schwarzes Kleid, als sei sie in Trauer. Sie hockte auf dem Rand eines entsprechend schlichten schwarzen Stuhls. Das einzige Geräusch im Zimmer war das Klackern ihrer Fingernägel auf dem gläsernen Couchtisch.
    »Mrs. Cobrawick?«
    »Kommen Sie herein, Anya«, sagte sie in einem Ton, der deutlich anders war als der, den sie bisher bei mir aufgesetzt hatte. »Nehmen Sie Platz.«
    Ich sagte, ich würde lieber stehen. Ich war zwar erschöpft, aber erleichtert, wieder auf den Beinen zu sein. Außerdem hatte ich nicht gerade Lust auf einen längeren Aufenthalt bei Mrs. Cobrawick, und stehen zu bleiben würde diese Wahrscheinlichkeit verringern.
    »Sie sehen müde aus, meine Liebe. Und es ist höflicher, sich hinzusetzen«, sagte sie.
    »Ich habe die letzten drei Tage im Sitzen verbracht, Ma’am«, sagte ich.
    »Ist das irgendwie als Vorwurf gemeint?«, fragte sie.
    »Nein«, erwiderte ich. »Das ist die Feststellung einer Tatsache.«
    Mrs. Cobrawick lächelte mich an. Sie hatte ein sehr breites Lächeln – man sah all ihre Zähne, die Lippen verschwanden. »Jetzt verstehe ich, wie Sie es darstellen wollen«, bemerkte sie.
    »Darstellen?«, wiederholte ich.
    »Sie glauben, Sie seien hier schlecht behandelt worden«, sagte Mrs. Cobrawick.
    Etwa nicht?, fragte ich mich.
    »Aber ich wollte Ihnen einfach nur helfen, Anya. Es sah so aus,

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