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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Macht. Er machte mit Daumen und Zeigefinger die Pinke-Pinke-Geste.
    Â»Und wie läuft es in der Gastronomie? Die goldenen Zeiten sind doch auch vorbei?«
    Jenitzkys Gesicht wechselte nahtlos von Erheiterung zu Bestürzung; er sah aus wie ein Zirkusclown, dem gerade die Buttercremetorte weggenommen wurde. Doch unter der theatralischen Grimasse erahnte Sándor echte Beunruhigung und wild lodernde Wut.
    Â»Mit Unterhaltungseinlagen wie gestern Abend – der schönen Razzia mit vorhergehender Saalschlacht, die mir da ohne vorherige Bestellung frei Haus geliefert wurden – gewinne ich jedenfalls nicht gerade Stammkunden. Die Touristen aus der Pampa, die sich mal übers Wochenende in die Hauptstadt trauen, wollen betrunken gemacht und um ihre Ersparnisse gebracht werden, aber sie wollen keinen in die Fresse kriegen, fürchte ich. Ganz schlechte Reklame, mein Lieber, ganz schlechte Reklame!«
    Er schüttelte unwillig den Kopf und fuhr fort:
    Â»Aber auch wenn ihr Bullen mir gerade nicht die Bude auf den Kopf stellt: Die Sache lohnt sich nicht mehr. Ich mache mich im eigenen Laden buchstäblich zum Affen, Sie sollten mich mal im Affenkostüm sehen – der lebende Tonfilm, täuschend ähnlich! Aber ich kann nicht mit jedem Gast auf Kosten des Hauses einen saufen, nur damit der Bierhahn läuft.«
    Er schwenkte einen imaginären Bierseidel und schüttete sich aufs eigene Stichwort hin mit der anderen Hand ein weiteres Glas Champagner ein.
    Â»Nein, die Zeiten ändern sich, und wenn den Leuten das Wasser bis zum Hals steht, ist Klamauk das Letzte, was sie sehen wollen. Das Lachen bleibt den meisten doch im Halse stecken – so viel kann man gar nicht saufen, dass man über diese Welt noch lachen möchte.«
    Jenitzky setzte das Glas an das breite Karpfenmaul und kippte den Inhalt erneut in einem Schluck hinunter. Von Möthlow, dem Dorf hinter ihnen, drang ein dürres Glockengeläut herüber, es schlug fünf Uhr. Die Mücken surrten, aber Jenitzky wehrte die lästigen Biester nicht ab, und auch Sándor Lehmann war zu gespannt auf die Worte des anderen, um sich von der Schönheit oder den Unbilden der Natur ablenken zu lassen.
    Â»Ihr Jazzer«, Jenitzky sprach das Wort nicht wie Hertha Fuhs eingedeutscht aus, sondern richtig, englisch, mit einer Geläufigkeit, die Respekt signalisierte, Akzeptanz, »Ihr Jazzer bietet den Leuten mit zwei, drei Minuten Musik mehr, als meine Komikertruppen und Bauchredner und Burlesque-Tänzerinnen es an einem ganzen Abend schaffen. Ihr bietet Träume, Selbstvergessenheit, in der die Leute aufgehen können. Auf der Tanzfläche schütteln sich die kleinen Verkäuferinnen und Fabrikarbeiter ihre ganze Verzweiflung aus den Knochen, da können sie erobern, eine Rolle spielen, da ist die Welt noch in Ordnung. Glaub mir, mein Junge.« Jenitzky beugte sich vor und fixierte Sándor mit weit aufgerissenen Augen; er schien gar nicht zu merken, dass er sein Gegenüber duzte. »Den Jazztanzlokalen gehört die Zukunft, weil ihr Jazzkapellen den Menschen eine bessere Welt zeigt. Und genau deswegen haben die Nazis euch auf dem Kieker. Die wollen nämlich auch eine bessere Welt, aber sie wollen sie mit dem Sturmgewehr in der Hand erkämpfen.«
    Sándor Lehmann hatte mit einem derartigen philosophisch-politischen Vortrag nicht gerechnet; aber Jenitzky – dem man den Krug-Champagner nun doch zunehmend anmerkte – hielt sich nicht lange mit theoretischen Ausführungen auf. Er hatte einen Plan.
    Â»Ich bin kein Blödmann. Wenn mein Geschäftskonzept nicht mehr aufgeht, suche ich mir was anderes. Und wenn es Jazzlokale sind, dann mache ich Jazzlokale auf, verdammt noch mal. Nicht irgendeins, das größte. Das wichtigste. Das mit den besten Leuten auf der Bühne und hinterm Tresen. Kompromisslos. Und ich brauche Ihre Hilfe dabei, Ihre Unterstützung, damit mir bei diesem Ding niemand in die Quere kommt. Niemand! Sind Sie dabei? Sind Sie für mich«, Jenitzky ballte eine Faust und hielt sie vor die eigene Nase, eine Pose wie die eines archaischen Ringers, »oder sind Sie gegen mich?«
    Sándor verzog die Augen zu schmalen Schlitzen. Er lächelte verschwörerisch.
    Â»Was war ich denn gestern Abend? Gegen Sie?«
    Jenitzky grunzte zufrieden und patschte ihm mit der flachen Hand auf die Wange. Dann zerrte er seine Taschenuhr aus der Weste und drückte sie mit der Faust,

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