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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Lichtgestalten Hitler, Goebbels oder Himmler nicht weniger, sondern weit mehr Blut an ihren Händen hatten als jeder ihrer als »undeutsch«, »unrein« oder sonst wie »un-« bezeichneten Gegner.
    Trotz seines gestrigen Misserfolges stand für Belfort offenbar fest, dass sie mit Jenitzky auf der richtigen Spur waren, und weil die Ergebnisse der Razzia wenig Beweise für diese These gebracht hatten, berief er sich sturköpfig auf seine Intuition, auf eine innere Sicherheit oder Stimme, und fuhrwerkte stundenlang verbissen mit all den Karteikarten und Grundrissen herum, um den Ablauf des Attentats aus den Zeugenaussagen zu rekonstruieren. Am liebsten wäre er noch mal hinuntergestürmt in die Katakomben, um aus den verbliebenen Inhaftierten – dem Kroppzeug, das ohnehin wegen irgendwelcher Vorstrafen polizeilich gesucht wurde oder bei der Festnahme buchstäblich mit der Hand in fremden Hosentaschen angetroffen worden war – den unwiderlegbaren Beweis herauszuprügeln, dass nur Jenitzky für den Gasangriff auf die Femina verantwortlich sein konnte.
    Tatsächlich hatte Belfort selbst heute in aller Herrgottsfrühe dort unten schon, wie er es nannte, »nachrecherchiert« und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass einer der über Nacht Festgehaltenen, ein alter, zahnloser Schluckspecht, aus dem auch der dicke Plötz mit seiner gewieften Fragetechnik nichts hatte herausholen können, irgendwann vor Tagesanbruch das Zeitliche gesegnet hatte. Diese Hungerleider klappten bei jeder etwas ernster gemeinten Frage gleich zusammen; man handelte sich nur Ärger ein mit solchem Pöbel, so hatte Belfort diesen Vorfall kommentiert, aber dennoch im Lauf des Vormittags einen Großteil der Untersuchungshäftlinge auf freien Fuß setzen lassen und sich über Mittag nur umso fanatischer auf all die Notizen und Einzelaussagen gestürzt, als bärge dieses Puzzle die Lösung auf die entscheidende Frage, wenn man die Teilchen nur richtig herum zusammenzulegen verstand.
    Sándor wurde die verbissene, von mehreren Schachteln York beräucherte Schreibtischarbeit irgendwann zu viel, und er schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen gedankenversunken hinaus in den Nachmittag. Als er auf die Dircksenstraße trat, hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine schwere, zweifarbige Limousine in Bordeauxrot und Schwarz, ein Elite S 18, und er brauchte weder Gedankenübertragung noch Intuition zu bemühen, um zu wissen, wessen Chauffeur da gelassen die Fahrertür öffnete, ruhig den vorbeifahrenden Verkehr durchließ und dann die Straße zielstrebig und direkt auf ihn zu überquerte. Jenitzky, der vermutliche Theodor, angebliche August, ließ ihm die Ehre einer Mittagseinladung zuteilwerden.
    Sándor gab dem Impuls nicht nach, sich umzusehen, ob ihm von den lang gestreckten Fenstern des Polizeipräsidiums Blicke folgten. Es war ihm scheißegal; er machte hier Polizeiarbeit – seine eigene Art von Polizeiarbeit. Also fuhren sie.
    Der S 18er hatte hinten im Fond neckische, auf Draht gespannte Seidenvorhänge, die die Sonne und lästige Blicke neugieriger Passanten draußen hielten. Sándor sah gestickte nackte Engelchen, weiß auf creme. Inmitten der himmlischen Heerscharen ruhte Jenitzky auf einer Decke aus Kaninchenfellen. Er schlief. Sándor setzte sich auf die Ledersitzbank gegenüber, und die Limousine schwebte westwärts. Er räusperte sich, aber Jenitzky schien ebenfalls eine anstrengende Nacht hinter sich zu haben; er war nicht zu wach zu kriegen. Also machte Sándor es sich bequem und döste vor sich hin, während draußen die Stadt vorbeizog, Charlottenburg, die westlichen Vororte, der Grunewald, Spandau. Das sah nach einer Landpartie aus; eigentlich eine schöne Abwechslung nach den öden Bürostunden, in denen es nicht vorwärtsging mit ihrem Fall. Jetzt ging es vorwärts, zumindest geografisch. Pappeln säumten die Alleen, weit wogende Kornfelder rahmten Wälder ein, Seen, Kanäle. Berlin blieb zurück, Dallgow und Nauen zogen vorbei. Sándor studierte eine Weile Jenitzkys runden Kopf, das akkurat rasierte Doppelkinn, die wenigen und etwas zu langen weißen Haare. Der Oberganove der Friedrichstadt wirkte gutmütig wie ein schlafender Bernhardiner; ein Mann, der in sich ruhte, dessen Welt in Ordnung war. Sándor hätte ihm am liebsten die Nase zugehalten, um zu sehen, ob

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