Black Bottom
das leise Schnarchen davon aufhörte, aber er wollte den Mann nicht wecken und gegen sich aufbringen, noch nicht.
Also sah er weiter aus dem Fenster, schätzte den Wert von Jenitzkys edlen Golferschuhen, der Taschenuhr, die aus der gespannten Chiffonweste herausgerutscht war, und dem etwas geckenhaften Bowler Hat, der neben dem Mann auf der Rückbank lag; ohne Zweifel eine kostspielige Anschaffung aus der Londoner Savile Row â »bespoke«, wie man dort auf Einzelbestellung maÃangefertigte Stücke nannte.
Das dicke schwarze Dach hielt die Hitze der Sonne drauÃen; erst als er pinkeln musste und dem Chauffeur durch ein Klopfsignal an der Glasscheibe signalisierte, dass er anhalten solle, wurde Sándor bewusst, wie warm es war. Er stand da in der Sonne und pinkelte in einen Streifen Brennnesseln; Bienen waren unterwegs, Hummeln, irgendwo in der Ferne rief ein Kuckuck.
»Verdammt schön hier, oder? Man möchte die Schuhe ausziehen und barfuà über die Wiesen laufen!«, tönte Jenitzkys Stimme unvermittelt neben ihm. Der Mann war, lautlos und geschmeidig wie ein Tanzbär, aus der Elite-Limousine geglitten und stand nun, ebenfalls pinkelnd, breitbeinig neben ihm am Randstreifen der kopfsteingepflasterten FernverkehrsstraÃe Nummer 5. Sándor musste unwillkürlich lauthals lachen. Die Vorstellung, barfuà mit Jenitzky hier irgendwo im Havelland über die Felder zu rennen wie zwei Balletttänzerinnen oder Wandervogel-Jungfrauen â das war zu komisch. Auch Jenitzky lachte; er schlug Sándor auf die Schulter.
»Hunger? Los, wir haben einen Picknickkorb in unserem Schlachtross.«
Und so war es. Im Kofferraum des S 18 gab es einen Picknickkorb, der in diesen hungrigen Jahren wie eine Gotteslästerung anmutete. Zwei, drei Flaschen Krug Grande Cuvée, in feuchte Leinentücher geschlagen; Bündnerfleisch in Scheiben, dünner als Filmcellophan; krosses Brot, kalter Fasan, den Sándor als Ãberbleibsel des gestrigen Festmahls im Horcher im Verdacht hatte, an dem Belfort und er leider nicht hatten teilhaben können. Immerhin, im Unterschied zu seinem übereifrigen Büronach barn fielen für ihn selbst noch ein paar Krümel von der Tischkante.
Etwas abseits der StraÃe, in Möthlow, fanden sie eine kleine Anhöhe oberhalb des Dorffriedhofs; dort breitete der Fahrer ein weiÃes Tischtuch auf dem Boden aus, mit dem man ein totes Pferd hätte einwickeln können. Es gab Porzellanteller und Kristallgläser, und Jenitzky kippte das erste Glas Champagner in einem einzigen Zug hinunter, blickte mit feuchten Augen über das Land und seufzte:
»Hach ja ⦠zurück zur Natur!«
Sándor biss gerade von einer Fasanenkeule ab und hatte mehr Augen für den Picknickkorb als für die Landschaft ringsum. Aber auch Jenitzky schien die Natur eher als dekorative Kulisse für ein Festmahl zu betrachten, jedenfalls lieà er sich die mitgebrachten Delikatessen schmecken, als wäre er den Weg hier heraus zu Fuà gelaufen und nicht in seinem gut gepolsterten Schlafwagen kutschiert worden.
Nach dem Essen, die zweite Flasche Krug war bereits halb leer, kicherte Jenitzky plötzlich prustend in sich hinein. Er blickte auf und zwinkerte Sándor zu.
»Ein Bulle mit Klarinette ⦠ich kann nicht sagen, dass mir das schon mal untergekommen ist. Und ich habe bei euch Bullen wirklich schon alles Mögliche gesehen, Sadomasochisten, Morphinisten, Taschendiebe ⦠aber einen Jazzmusiker? Das ist neu. Das ist wirklich neu!«
Sándor zuckte mit den Achseln.
»Jazzmusiker ist keine Lebensgrundlage, heute noch weniger als vor ein paar Jahren, das muss ich Ihnen sicher nicht erklären. Die Gagen bei Ihnen sind auch nicht besser als überall sonst. Von irgend was muss ich also leben.«
Jenitzky lachte fröhlich wie ein Kind.
»Von irgendwas, ja, wahrhaftig. Aber als Bulle? Menschenskind, wenn das so weitergeht mit unserem schönen Deutschland hier«, er machte eine ausholende Armbewegung, die nicht dem Westhavelland galt, das grün und prall dort unter ihnen lag, sondern der politischen Landschaft, die der Idylle hier nicht sehr ähnlich war, »wenn das so weitergeht, werden Sie sich irgendwann noch selbst verhaften müssen, weil dieser âºFührerâ¹ es so will!«
Sándor grinste. Immerhin hatten sie ähnliche Ansichten über die Nationalsozialisten und ihren aggressiven Marsch zur
Weitere Kostenlose Bücher