Black Box: Thriller (German Edition)
Heckenschützen. Eigentlich jedes Schützen.
»Ich werde es mir merken«, sagte Bosch.
Edgar knuffte ihn erneut in die Schulter.
»Und setz deinen Hut auf.«
Bosch nahm den Schutzhelm, den er bei der Einsatzbesprechung ausgehändigt bekommen hatte. Die Anweisung lautete, ihn beim Einsatz ständig zu tragen. Bosch fand allerdings, dass einen das glänzende weiße Plastik mehr als alles andere zu einem hervorragenden Ziel machte.
Edgar und er mussten warten, bis Robleto und Delwyn ausstiegen und ihnen die hinteren Türen des Streifenwagens öffneten. Erst dann konnte Bosch in die Nacht hinaus aussteigen. Den Helm setzte er widerwillig auf, aber den Kinnriemen schloss er nicht. Er hätte gern eine Zigarette geraucht, aber sie durften keine Zeit verlieren. Außerdem hatte er nur noch eine in dem Päckchen, das in der linken Brusttasche seines Uniformhemds steckte. Er musste sie sich aufheben, denn er wusste nicht, wann oder wo er dazu käme, seine Vorräte aufzufüllen.
Bosch blickte sich um. Eine Leiche war nirgendwo zu sehen. Die Durchfahrt war mit altem und neuem Gerümpel zugemüllt. An der Wand von Used, Not Abused stapelten sich alte Haushaltsgeräte, die wiederzuverkaufen sich offensichtlich nicht mehr lohnte. Überall lag Müll, und infolge des Brands waren Teile der Dachtraufe herabgestürzt.
»Wo ist sie?«, fragte Bosch.
»Hier drüben«, sagte der Nationalgardist. »An der Wand.«
Die Durchfahrt wurde nur von den Scheinwerfern des Streifenwagens und der Lampe des Nationalgardisten beleuchtet. Die Haushaltsgeräte und anderes Gerümpel warfen Schatten auf Wand und Boden. Bosch schaltete seine Maglite ein und richtete ihren Strahl in die Richtung, in die der Nationalgardist gezeigt hatte. Die Wand des Haushaltsgeräteladens war von Gang-Graffiti übersät. Namen, R.I.P.s, Drohungen – die Wand diente den Rolling Sixties, der lokalen Crips-Fraktion, als Schwarzes Brett.
Bosch ging drei Schritte hinter dem Nationalgardisten, und dann sah er sie. Eine zierliche Frau, die direkt an der Mauer auf der Seite lag. Sie war vom Schatten einer rostigen Waschmaschine verdeckt worden.
Bevor Bosch weiterging, leuchtete er mit seiner Lampe über den Boden. Früher war der Boden der Durchfahrt glatt betoniert gewesen, aber jetzt war er rissig, überall Kies und Erde. Bosch sah weder Fußabdrücke noch Blutspuren. Er ging langsam weiter und kauerte sich nieder, stützte den schweren Zylinder der mit sechs Batterien bestückten Stablampe auf seiner Schulter ab und ließ ihren Strahl über die Tote gleiten. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit Leichen schätzte er, dass die Frau zwischen zwölf und vierundzwanzig Stunden tot war. Die Beine waren an den Knien stark abgewinkelt, und er wusste, dass das entweder eine Folge der Totenstarre war oder ein Hinweis darauf, dass sie in den letzten Momenten vor ihrem Tod auf dem Boden gekniet hatte. Was an Hals und Armen von ihrer Haut zu sehen war, war bleich und an den Stellen, die von geronnenem Blut bedeckt waren, dunkel. Ihre Hände waren fast schwarz, und in der Luft hingen erste Ansätze von Verwesungsgeruch.
Das Gesicht der Frau war fast ganz von ihrem langen blonden Haar verdeckt. Die dichten Strähnen über ihrem Gesicht und an ihrem Hinterkopf waren von getrocknetem Blut verklebt. Bosch führte den Lichtstrahl die Wand hinter der Toten hinauf und entdeckte ein Muster aus Blutspritzern und -tropfen, das darauf hindeutete, dass sie an dieser Stelle getötet und nicht erst später hier abgeladen worden war.
Bosch nahm einen Stift aus seiner Tasche und lüpfte damit das Haar vom Gesicht des Opfers. Um die rechte Augenhöhle waren Schmauchspuren zu erkennen, der Augapfel war beim Einschuss zerplatzt. Die Frau war aus wenigen Zentimetern Entfernung erschossen worden. Von vorn, aus nächster Nähe. Bosch steckte den Stift wieder ein und beugte sich weiter vor. Er richtete die Lampe auf den Hinterkopf der Toten. Die Austrittswunde, groß und gezackt, war deutlich zu sehen. Der Tod war zweifellos sofort eingetreten.
»Sag bloß! Ist das etwa eine Weiße?«
Edgar war hinter Bosch stehen geblieben und spähte wie ein hinter dem Catcher stehender Baseballschiedsrichter über dessen Schulter.
»Sieht ganz so aus«, sagte Bosch.
Er bewegte den Lichtstrahl über den Körper des Opfers.
»Was hat eine Weiße hier unten zu suchen, verdammte Scheiße noch mal?«
Bosch antwortete nicht. Ein Gegenstand unter dem rechten Arm der Toten hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er
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