Black Cats 01. Was kostet der Tod
ebenfalls zuschauen zu dürfen.«
»Das bringt es ungefähr auf den Punkt.«
Dean schluckte. Nun war er definitiv nicht mehr scharf darauf, die übrigen Videos zu sehen. Die Exzesse eines Haufens kranker Köpfe, denen ein Ventil für ihre gewalttätigen Fantasien zur Verfügung stand, gehörten wohl zum Abartigsten, was ihm je untergekommen war. Aber die Videos bildeten den Ausgangspunkt, um den Morden Einhalt zu gebieten. Er hatte keine Wahl.
Plötzlich wurde ihm klar, dass er gar nicht mehr darüber nachdachte, ob er überhaupt in diesem Fall ermitteln wollte. Irgendetwas tief in ihm, das sich gegen diese unfassbaren Gräueltaten des Sensenmanns aufbäumte, forderte das Recht ein, sich an der Jagd auf den Täter zu beteiligen. Zuständigkeiten spielten da keine Rolle. Der Grund, warum Blackstone das CAT gebildet hatte, spielte keine Rolle.
Mehr Zeit mit seinem Sohn zu verbringen spielte sehr wohl eine Rolle. Ja, das war wichtig. Aber in diesem Augenblick konnte Dean nur noch daran denken, das kranke Ungeheuer zur Strecke zu bringen, das diese Welt für sein Kind um einiges bedrohlicher machte. Für alle Kinder.
Irgendwo da draußen wollten die Freunde und Verwandten von mindestens acht Frauen wissen, was den Ermordeten zugestoßen war. Wer es getan hatte und warum.
Und hoffentlich konnten Dean und seine Teamkollegen ihnen bald ein paar Antworten geben.
2
In dem kleinen Ort Hope Valley, Virginia, tickten die Uhren nicht einfach nur langsamer; manchmal schienen sie einem ganz eigenen Rhythmus zu folgen, bis sie schließlich komplett stillstanden. Und dann rückwärtsgingen.
Denn abgesehen davon, dass manche Dinge sich niemals änderten – die Landschaft oder die Gesichter oder die Geschäfte in den zehn Häuserblocks, die die gesamte Innenstadt bildeten – , abgesehen davon schienen sich einige Szenen ständig zu wiederholen, wie ein immer wiederkehrender Traum. Kein Albtraum, der einen im Bett hochschrecken ließ, sondern nur ein Wirrwarr aus Bildern von Nichtigkeiten, die allein wegen ihrer Farblosigkeit bemerkenswert waren.
Dieser Eindruck verstärkte sich besonders im Hochsommer. Die gleißende Augustsonne sog alle Energie aus der Luft. Jeder Ausbruch von Geschäftigkeit wurde schnell im Keim erstickt. Die meisten Einwohner von Hope Valley sehnten sich insgeheim nach einem großen Glas Eistee und einem Nickerchen. Es kostete einfach zu viel Kraft, sich Gedanken darüber zu machen, was man mit den Leuten reden sollte, die man jeden Tag sah. Abgesehen von »Guten Morgen« oder »Einen schönen Tag noch« – was sagte man zu der jungen Frau im Feinkostgeschäft, die einem jeden Tag das gleiche Truthahn-Sandwich richtete? Oder zu dem Zeitungsjungen oder der Postbotin?
Früher hatte Sheriff Stacey Rhodes dieses Gefühl von Normalität gehasst, diese entspannte Langsamkeit, in die sich die Stadt hüllte wie in einen gemütlichen, abgetragenen Mantel. Als Teenager, als sie noch nichts von der Welt gesehen hatte und jeden Ort für besser hielt als diesen, hatte sie sich nichts Schlimmeres vorstellen können, als den Rest ihres Lebens in Hope Valley zu verbringen. Und hier war sie nun.
Ein Widerspruch? Ihr ging es gut damit. Verglichen mit dem, was sie erlebt hatte, schien Hope Valley der letzte normale Flecken Erde zu sein. Nur an heißen, verschlafenen Tagen wie heute wurde sie nervös. Falls nicht bald irgendetwas diese Eintönigkeit durchbrach, würde jemand vorsätzlich deren Ende herbeiführen – und dieses Ende wäre dann sehr viel schlimmer als das bisschen Hitze.
»Morgen, Sheriff!«
Sie winkte dem Jungen, der die Zeitung austrug, zu und rief: »Schönen Tag auch!«
Nachdem sie ins Auto gestiegen war und sich angeschnallt hatte, fuhr sie rückwärts aus der Einfahrt zu ihrem kleinen Häuschen heraus und überholte den Zeitungsjungen an der nächsten Ecke. Er sauste gerade mit dem Fahrrad haarscharf an einem Rasensprenger vorbei, der verzweifelt versuchte, ein wenig die flimmernde Luft zu befeuchten und die letzten Grünpflanzen in dem braunen, ausgedörrten Vorgarten zu retten.
Bewässerungsverbot. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang durfte kein Garten gesprengt werden. Sie notierte sich die Adresse und überlegte, dass sie auf dem Weg zum Bürgerhaus noch einmal hier vorbeikommen würde. Ordnungsamt zu spielen mochte nicht unbedingt zu den Aufgaben eines Bezirkssheriffs gehören, aber nun ja, sonst gab es nichts groß zu tun heute. Genau wie an jedem anderen Tag.
Obwohl sie ihrem uralten
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