Black Dagger 10 - Todesfluch
überrascht hatte, waren keine Tränen geflossen. Als seine verhasste Mutter ihn daran gehindert hatte, zu tun, was er vorhatte, waren seine Wangen trocken geblieben.
Selbst als die Jungfrau der Schrift ihre Hand auf Janes Körper gelegt hatte, und er benommen beobachtete hatte, wie seine Geliebte zu Asche wurde, hatte er nicht geweint.
Jetzt tat er es.
Zum ersten Mal seit seiner Geburt flossen ihm Tränen über das Gesicht und durchnässten die Kissen.
Sie waren gekommen, weil er eine Vision von Butch und Marissa auf der Wohnzimmercouch der Höhle gehabt hatte. Lebendig … so lebendig. V konnte ihre Gedanken nicht hören, aber er wusste, dass Butch sich Marissa auf ihrem Bett in einem schwarzen BH und Jeans vorstellte. Und Marissa malte sich aus, wie er ihr die Jeans auszog und den Kopf zwischen ihre Beine schob.
V wusste, dass Butch in sechs Minuten den Orangensaft, den Marissa in der Hand hielt, auf den Tisch stellen würde. Er würde etwas verschütten, weil das Glas auf einer Ecke der Sports Illustrated landen würde, und der Saft würde Flecken auf Marissas Jeans machen. Das würde sein Freund als Ausrede dafür benutzen, sie in ihr Zimmer zu bringen und ihr dort an die Wäsche zu gehen.
Doch auf dem Weg dorthin würden sie vor Vs Tür stehen bleiben und beide die Lust auf Sex verlieren. Mit traurigen Augen würden sie zu ihrem Ehebett gehen und einander dort schweigend im Arm halten.
V legte sich einen Arm über das Gesicht. Und schluchzte hemmungslos.
Seine Visionen waren wieder da, sein Fluch zu ihm zurückgekehrt.
Er hatte den Scheideweg hinter sich gelassen.
Was bedeutete, dass sein Leben fortan so bleiben würde: Er sollte nichts als eine leere Hülle sein, die neben der Asche seiner Geliebten lag.
Und tatsächlich hörte er durch sein Weinen hindurch Butch und Marissa über den Flur gehen, hörte sie vor seinem Zimmer anhalten, dann ihre Schlafzimmertür schließen. Keine Sexgeräusche drangen durch die Zwischenwand gedämpft zu ihm herüber, kein Bettgestell quietschte, keine kehligen Rufe ertönten.
Genau, wie er es vorhergesehen hatte. In der darauf folgenden
Stille wischte sich V die Wangen ab, dann betrachtete er seine Hände. Die Linke pochte immer noch ein wenig von der Verletzung, die er sich zugefügt hatte. Die Rechte glühte wie immer – und seine Tränen sahen vor der Beleuchtung von innen weiß aus, weiß wie die Iris seiner Augen.
Er atmete tief durch und sah auf die Uhr.
Das Einzige, was ihn noch bei der Stange hielt, war die Nacht. Er hätte sich inzwischen definitiv umgebracht – hätte sich seine Glock in den Mund gesteckt und den Hinterkopf weggepustet –, wenn die Nacht nicht wäre.
Er machte es zu seiner persönlichen Mission, die Gesellschaft der Lesser auszurotten. Das würde ihn den Rest seines Lebens kosten, aber das war total okay, denn für ihn gab es sowieso nichts anderes mehr. Und er hätte es zwar bevorzugt, die Bruderschaft zu diesem Zweck zu verlassen, aber Butch würde ohne ihn sterben, deshalb musste er in der Nähe bleiben.
Unvermittelt zog er die Augenbrauen zusammen und blickte zur Tür.
Kurz darauf wischte er sich noch einmal die Wangen ab und sagte: »Es überrascht mich, dass du nicht einfach reinkommst. «
Die Tür öffnete sich ohne Zutun einer Hand. Davor stand die Jungfrau der Schrift, von Kopf bis Fuß von ihrem schwarzen Gewand verhüllt.
»Ich war nicht sicher, ob ich willkommen bin«, sagte sie leise und schwebte in den Raum.
Er hob den Kopf nicht vom Kissen. Hatte kein Interesse daran, ihr, gleich auf welche Art, die Ehre zu erweisen. »Du weißt, wie willkommen du bist.«
»Ja. Daher werde ich gleich zum Anlass meines Besuchs kommen. Ich habe ein Geschenk für dich.«
»Ich will es nicht.«
»Doch. Das willst du.«
»Leck mich.« Unter ihrer Kapuze schien ihr Kopf herabzusinken. Wobei es ihm scheißegal war, ob ihre kostbaren kleinen Gefühle verletzt worden waren. »Geh.«
»Das hier willst du – «
Mit einem Ruck setzte er sich auf. »Du hast mir genommen, was ich wollte …«
Eine Gestalt trat in den Türrahmen, eine geisterhafte Gestalt. »V …?«
»Und ich gebe es dir zurück«, sagte die Jungfrau der Schrift. »Auf eine gewisse Weise.«
Vishous hörte kein Wort von dem, was sie sagte, weil er nicht begreifen konnte, was er da vor sich sah. Es war Jane … mehr oder weniger. Es war Janes Gesicht und Janes Körper, aber sie war … eine transparente Erscheinung.
»Jane?«
Während sie sich dematerialisierte,
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