Black Dagger 12 - Vampirträume
Mutter, keine Aufseherin, und Ihr werdet alles gewinnen, was Ihr nur wünscht. Gebt uns frei und seht uns zu, wie wir gedeihen.«
Der Klang des plätschernden Brunnens schien anzuschwellen, wurde lauter, als könnte er ihre Emotionen nachempfinden.
Phury betrachtete das fallende Wasser, sah es das Licht einfangen und glitzern wie der Sternenhimmel. Die Regenbogen in jedem einzelnen Tropfen waren unfassbar schön, und während er die funkelnden Kleinode in jedem Splitter des Ganzen beobachtete, dachte er an die Auserwählten und welche individuelle Gaben sie wohl besaßen.
Er dachte an seine Brüder.
Er dachte an ihre Shellans.
Er dachte an seine Geliebte.
Und er kannte den Grund des Schweigens der Jungfrau der Schrift. »Ihr werdet uns nicht verlieren. Wir werden Euch niemals zurücklassen und vergessen. Wie könnten wir das? Ihr habt uns geboren und begleitet und stark gemacht. Aber nun … nun sind wir an der Reihe. Lasst uns gehen, und wir werden Euch näher sein als je zuvor. Lasst uns die Zukunft in unsere eigenen Hände nehmen und gestalten, so gut wir nur können. Habt Vertrauen in Eure Schöpfung.«
Mit rauer Stimme erwiderte sie: »Hast du die Kraft dazu, Primal? Kannst du die Auserwählten anführen nach allem, was du durchgemacht hast? Dein Leben war nicht einfach, und der Weg, den du einzuschlagen wünschst, ist weder eben noch leicht zu gehen.«
Auf seinem intakten Bein und seiner Prothese stehend dachte Phury über die Nächte seines Lebens nach und wog die Kraftreserven in seinem Inneren ab. Ihm fiel nur eine Antwort ein.
»Ich bin hier, oder etwa nicht?«, erklärte er. »Ich bin noch da. Sagt Ihr mir, ob ich verdammt noch mal die Kraft dazu habe oder nicht.«
Sie lächelte schwach – obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass sie lächelte.
Dann nickte die Jungfrau der Schrift einmal. »So sei es also, Primal. Es sei so, wie du es wünschst.«
Sie drehte sich um und verschwand in ihren Gemächern.
Phury atmete aus, als hätte jemand einen Stöpsel aus seinem Hintern gezogen.
Der blanke Wahnsinn.
Er hatte soeben das gesamte spirituelle Gewebe ihres Volkes in Fetzen gerissen. Wie auch das biologische.
Mann, hätte er vorher gewusst, wohin diese Nacht noch führen würde, dann hätte er vorher eine Schüssel Cornflakes gegessen.
Er wandte sich wieder dem Heiligtum zu. Der erste Stopp wäre bei Cormia; dann würden sie zusammen zur Directrix gehen und –
Er erstarrte, als er die Tür aufmachte.
Das Gras war grün.
Das Gras war grün und der Himmel blau … die Narzissen gelb, und die Rosen strahlten in allen Farben des Regenbogens, und die Gebäude waren rot und beige und dunkelblau …
Unter ihm strömten die Auserwählten aus ihren Quartieren, hoben ihre jetzt bunten Roben an, sahen sich aufgeregt und verwundert um.
Cormia trat aus dem Tempel des Primals, das schöne Gesicht drückte Unglauben aus. Als sie ihn entdeckte, schlug sie sich die Hand vor den Mund, und ihre Augen blinzelten hektisch.
Mit einem Aufschrei raffte sie ihre traumhafte lavendelfarbene Robe und rannte auf ihn zu, Tränen flossen ihr über die Wangen.
Er fing sie auf, als sie an ihm hochsprang, und hielt ihren warmen Körper fest an seinen gepresst.
»Ich liebe dich«, stieß sie hervor. »Ich liebe dich, ich liebe dich … ich liebe dich.«
In diesem Augenblick, vor ihm die sich wandelnde Welt, die ihm gehörte, im Arm seine Shellan, spürte er etwas, das er niemals für möglich gehalten hätte.
Er fühlte sich endlich als der Held, der er immer hatte sein wollen.
25
Auf der anderen Seite saß John Matthew im Anwesen der Bruderschaft auf einem Polsterstuhl neben dem Bett, in dem Tohr schlief. Der Bruder hatte sich nicht bewegt, seit sie vor Stunden zurückgekommen waren.
Was in dieser Nacht die allgemeine Devise zu sein schien. Es war, als wäre jeder im Haus in einen tiefen Schlaf versunken; überwältigt von einer kollektiven, intensiven Erschöpfung.
Alle außer John. Und dem Engel, der im Gästezimmer nebenan auf und ab wanderte.
Beide sorgten sich um Tohr.
Mein Gott, nie hätte John damit gerechnet, sich einmal größer als Tohrment zu fühlen. Nie hatte er damit gerechnet, ihm physisch überlegen zu sein. Und ganz bestimmt hatte er nicht damit gerechnet, den Mann zu pflegen oder für ihn verantwortlich zu sein.
All das und mehr war jetzt eingetreten, denn Tohr hatte an die dreißig Kilo abgenommen, Minimum. Und besaß
jetzt das Gesicht und den Körper eines Mannes, der in
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