Black Dagger 12 - Vampirträume
alle Gebäude und das Land und die Luft und das Wasser: Er gehörte dieser Welt nicht an, er selbst war diese Welt.
Nachdem sie ein Leben lang das Entstehen von Geschichte in einer Schüssel Wasser verfolgt hatte, erkannte Cormia, als sie das Amulett dort in der Luft hängen sah, dass sie zum ersten Mal Geschichte in Echtzeit miterlebte.
Nach diesem Augenblick würde nichts mehr so sein, wie es einmal war.
Das Amulett in seiner Faust wie ein Pendel schwingend verkündete Phury mit harter, tiefer Stimme: »Ich bin die Kraft des Volkes. Ich bin der Primal. Und so werde ich herrschen! «
23
Am Rande von Caldwell war die Bruderschaft in der lauen Sommernacht unter einem vollen, himmlischen Mond versammelt – und fragte sich, was zum Teufel eigentlich abging. Als der Escalade neben der dicht gedrängten Gruppe anhielt, konnte John nicht fassen, dass er dazugehörte. Er löste seinen Sicherheitsgurt und stieg aus. Blay und Qhuinn schlossen zu ihm auf, und zu dritt marschierten sie auf die Bruderschaft zu.
Die Wiese vor ihnen erstreckte sich zwischen einer Einfassung aus Kiefern, das Gras gesprenkelt mit Goldrutenbüscheln und hier und da einem duftenden Schwalbenwurz.
Vishous zündete sich eine Selbstgedrehte an, der Duft von türkischem Tabak wehte zu ihnen herüber. »Der Penner ist unpünktlich.«
»Ganz locker, V«, raunte Wrath ihm zu. »Wenn du dich nicht zusammenreißen kannst, musst du gehen.«
»Penner. Nicht du, er.«
»Butch, nimm deinen Kumpel an die Leine, ja? Bevor ich ihm das Maul mit einer Kiefer stopfe.«
Das Leuchten kam aus dem Osten, begann so klein wie das Züngeln eines Feuerzeugs, und wurde dann so groß wie die Sonne. Das Licht sammelte sich im Wald, wurde von Baumstämmen und Zweigen gefiltert, und John musste an die Filme über Atomwaffentests denken, die er in der Schule gesehen hatte, die, in denen die Bäume und alles andere nach der gleißend hellen Explosion in Schutt und Asche lagen.
»Ich will doch mal stark hoffen, dass der Mist da nicht radioaktiv ist«, murmelte Qhuinn.
»Nein«, gab Rhage zurück. »Aber morgen früh haben wir alle eine hübsche Sonnenbräune.«
Butch schirmte sich die Augen mit dem Arm ab. »Und ich habe meine Sonnenmilch nicht dabei.«
Doch es wurde keine Waffe gezogen, bemerkte John. Obwohl alle lauerten wie hungrige Katzen.
Plötzlich kam durch die Bäume ein Mann … ein leuchtender Mann, die Quelle des Lichts. Und über seinem Arm hing etwas, eine Plane oder ein Teppich oder –
»Das gibt’s doch nicht«, hauchte Wrath, als die Gestalt in zwanzig Metern Entfernung anhielt.
Der leuchtende Mann lachte. »Na, wenn das mal nicht der gute König Wrath mit seinen fröhlichen Musikanten ist. Ehrlich, ihr solltet unbedingt Kindervorstellungen geben, ihr seid alle so verdammt lustig anzusehen.«
»Toll«, murmelte Rhage. »Seinen Humor hat er noch.«
Vishous stieß hörbar die Luft aus. »Vielleicht kann ich ihn ja aus ihm rausprügeln.«
»Wenn’s geht mit seinem eigenen Arm –«
Wrath warf den beiden einen strengen Blick zu, dem sie simultan mit Unschuldsmienen begegneten.
Der König schüttelte den Kopf und wandte sich an die helle Gestalt. »Lange nicht gesehen. Glücklicherweise. Wie zum Henker geht’s dir?«
Ehe der Mann noch etwas antworten konnte, fluchte V. »Wenn ich mir diesen ganzen Keanu-Reeves- Matrix- »Ich bin Neo«-Müll anhören muss, platzt mir der Kopf.«
»Meintest du nicht Neon?«, versetzte Butch. »Irgendwie erinnert er mich an eine 24-Stunden-Tanke.«
Wrath wandte ihnen den Kopf zu. »Klappe jetzt. Alle miteinander. «
Die Leuchtgestalt lachte. »Wollt ihr jetzt euer verfrühtes Weihnachtsgeschenk haben? Oder wollt ihr mich so lange nerven, bis ich keinen Bock mehr habe und wieder abhaue?«
»Weihnachten? Das ist doch wohl eher eure Tradition, nicht unsere«, bemerkte Wrath.
»Heißt das nein? Denn ich habe etwas, das ihr schon ein Weilchen vermisst.« Damit löste sich der Leuchtschein auf, als hätte jemand einen Stecker gezogen.
Auf der Lichtung zurück blieb ein stinknormaler Mann … na ja, gewissermaßen stinknormal, wenn man davon absah, dass er mit Goldketten geradezu behängt war. Jemand lag in seinen Armen, ein bärtiger Kerl mit einer weißen Strähne in seinem dunklen Haar …
Johns gesamter Körper kribbelte.
»Erkennt ihr euren Bruder nicht?«, fragte die Gestalt und betrachtete den Mann in seinen Armen. »Aus den Augen, aus dem Sinn, hm?«
John war es, der sich aus der Reihe löste und durch
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