Black Dagger 19 - Liebesmond
gefälliges Kinn und die rosigen, hohen Wangen –, » bin nicht ich. Wenn mich die Leute sehen, behandeln sie mich mit unangemessener Ehrerbietung. Selbst den Auserwählten ging es so. Ich verdecke mein Gesicht, weil ich keine Lüge verbreiten will.«
» Du hast eine ziemlich eigenwillige Sicht der Dinge.«
» Reicht diese Erklärung denn nicht aus?«
» Doch.« Als No’One die Kapuze wieder hochziehen wollte, streckte Tohr den Arm aus und hielt sie fest. » Ich verspreche dir zu vergessen, wie du aussiehst, aber bitte lass sie unten. Ich kann deine Stimmung nicht einschätzen, wenn du dich versteckst – und falls es dir nicht aufgefallen ist, wir reden hier nicht gerade übers Wetter.«
Eine Hand blieb seitlich an der Kapuze liegen, so als könnte sie nicht loslassen. Und dann blickte sie ihm in die Augen – so eindringlich, dass er zurückwich.
Es war das erste Mal, dass sie ihn wirklich ansah, wurde ihm bewusst. Das erste Mal seit jeher.
Ihre Stimme war ebenso fest, als sie sprach. » Nur damit Klarheit zwischen uns herrscht: Ich bin an keinem Vampir interessiert. Männer stoßen mich körperlich ab, und das schließt auch Euch ein.«
Er räusperte sich. Zupfte an seinem ärmellosen Shirt. Rutschte auf seinem Stuhl herum.
Dann holte er tief und erleichtert Luft.
No’One fuhr fort. » Sollte ich Euch beleidigt haben …«
» Nein, ganz und gar nicht. Ich weiß, es ist nichts Persönliches.«
» Das ist es fürwahr nicht.«
» Um ehrlich zu sein, macht es die Sache … einfacher. Denn mir geht es genauso.«
Bei diesen Worten lächelte sie tatsächlich leicht. » Dann gleichen wir uns also wie ein Ei dem anderen.«
Eine Weile schwiegen sie. Bis er ganz unvermittelt sagte: » Ich liebe meine Shellan noch immer.«
» Und wie könnte das anders sein. Sie war entzückend.«
Er spürte, wie er das erste Mal lächelte seit … einer Ewigkeit. » Es war nicht nur ihr Äußeres. Es war einfach alles.«
» Das habe ich gemerkt an der Art, wie Ihr sie angesehen habt. Ihr wart wie verzaubert.«
Er hob einen der Federkiele auf und betrachtete den feinen, scharfen Schnitt der Spitze. » Heilige Jungfrau, war ich nervös in der Nacht unserer Vereinigung. Ich wollte sie so sehr – und konnte nicht glauben, dass sie mir gehören würde.«
» War es eine arrangierte Verbindung?«
» Ja, von meiner Mahmen. Mein Vater hatte nichts für solche Sachen übrig – geschweige denn für mich. Aber meine Mutter hat für mich gesorgt, so gut es ihr möglich war – und sie war schlau. Sie wusste, mit einer guten Gefährtin hätte ich ausgesorgt. Oder zumindest … war das der Plan.«
» Lebt Eure Mahmen noch?«
» Nein, und ich bin froh. Ihr hätte all das hier nicht gefallen.«
» Und Euer Vater?«
» Ist auch tot. Er wollte zeit seines Lebens nichts mit mir zu tun haben. Aber ungefähr sechs Monate vor seinem Tod rief er mich zu sich – und wäre Wellsie nicht gewesen, wäre ich nicht gegangen. Sie jedoch zwang mich, und sie hatte recht. Auf dem Sterbebett hat er mich offiziell wieder anerkannt. Ich weiß nicht genau, warum ihm das so wichtig war, aber so war es.«
» Und was ist mit Darius? Ihn habe ich noch gar nicht gesehen …«
» Er wurde vom Feind getötet. Kurz vor Wellsie.« Als No’One entsetzt die Hand vor den Mund schlug, nickte Tohr. » Ja, es war wirklich die Hölle.«
» Ihr seid ganz allein«, flüsterte sie.
» Ich habe meine Brüder.«
» Lasst Ihr sie an Euch heran?«
Mit einem kurzen Lachen schüttelte er den Kopf. » Du triffst den Nagel wirklich auf den Kopf, weißt du das?«
» Es tut mir leid, ich …«
» Nein, entschuldige dich nicht.« Er steckte den Federkiel zurück in den Ständer. » Ich unterhalte mich gern mit dir.«
Als er die Verwunderung in seiner eigenen Stimme bemerkte, lachte er hart. » Mann, ich punkte heute wirklich ganz gewaltig mit Charme bei dir, was?« Er schlug sich auf die Schenkel, um das Ende der Unterhaltung zu markieren, und stand mithilfe seiner Krücke auf. » Hör zu, ich bin außerdem wegen einer kleinen Nachforschung hier. Weißt du, wo die Bibliothek ist? Ich finde sie einfach nicht.«
» Aber selbstverständlich.« Sie stand auf und zog sich die Kapuze über den Kopf. » Ich bringe Euch hin.«
Als sie an ihm vorbeiging, runzelte er die Stirn. » Du hinkst stärker als sonst. Wurdest du verletzt?«
» Nein. Wenn ich zu viel laufe, tut es weh.«
» Wir könnten uns im Anwesen darum kümmern – Manello ist …«
» Nein, danke.«
Tohr
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