Black Dagger 20 - Schattentraum
schrecklich wie einleuchtend, dass er sich fragte, warum er im vergangenen Jahr nicht längst darauf gekommen war.
Wellsie hatte im Zwischenreich festgesteckt – seinetwegen.
Und Autumn … hatte ebenso im Zwischenreich festgesteckt, aus eigenem Verschulden.
Indem sie sich in ihn verliebte und nicht nur ihm verzieh, sondern auch sich selbst, kam sie frei – und so wurde sie wie Lassiter belohnt, nur dass sie gar nichts von dieser Belohnung gewusst hatte: Nach all der Zeit wurde ihr der Zutritt zum Schleier gestattet, der ihr verwehrt worden war, als sie sich in einem Anfall von Angst und Schmerz das Leben genommen hatte.
Sie war frei.
»S cheiße …«, stöhnte er und ließ sich in Johns starke Arme fallen. »V erdammte Scheiße …«
Wie seine Wellsie war auch sie von ihm gegangen.
Er rieb sich das Gesicht und fragte sich, ob er wohl einfach aufwachen würde … vielleicht war das ja der schlimmste Albtraum, den sein Unterbewusstsein erdenken konnte … ja, vielleicht würde er jeden Moment aufwachen, sich aus dem Bett schälen und sich für die Schleierzeremonie fertig machen, die in der realen Welt einen anderen Ausgang nähme …
Diese Theorie hatte nur einen Haken: Sein Rücken brannte noch immer vom Salz auf dem Brandzeichen. Und seine Brüder liefen noch immer um ihn herum und redeten aufgeregt durcheinander. Irgendwo schrie jemand. Im Licht der vielen Kerzen sah man nur zu genau, wer noch in der Eingangshalle war und wer nicht …
»S cheiße …«, fluchte Tohr erneut, und seine Brust fühlte sich plötzlich so leer an, als ob man ihm ohne sein Wissen das Herz entnommen hätte.
Die Zeit verstrich, die Erkenntnis wurde zur Gewissheit, dann schleppte man ihn ins Billardzimmer. Man drückte ihm ein Glas in die Hand, doch er hielt es nur auf seinem Schenkel und ließ den Kopf zurückfallen, während John Matthew tröstend auf Xhex einredete und Phury mit Wrath besprach, dass der König die Jungfrau der Schrift zur Rede stellen würde.
An diesem Punkt bot sich V an, seine Mahmen zu vermöbeln.
Der Vorschlag wurde abgelehnt. Doch gleich darauf einigte man sich, Paynes Angebot anzunehmen, den König zu begleiten.
Bla, bla, bla …
Tohr brachte es nicht übers Herz, ihnen zu sagen, dass dieser Ausgang vorherbestimmt gewesen war. Außerdem hatte er den Trauerprozess schon einmal durchlaufen – also besaß er doch wohl eine gewisse Kompetenz in Sachen Verlustbewältigung, oder etwa nicht?
Toll.
Verdammt, was hatte er bloß in einem vorherigen Leben angestellt, dass er das verdient hatte? Was zum Donner hatte er …
Das Klingeln der Türglocke war nicht sonderlich laut. Dennoch erstarrten alle.
Alle, die von diesem Haus wussten, waren bereits da.
Für Menschen waren sie unauffindbar.
Für Lesser eigentlich auch.
Und das Gleiche galt für Xcor …
Es klingelte erneut.
Wie auf ein Zeichen zückten die Brüder, Payne und Xhex, Qhuinn, John und Blay ihre Waffen.
Fritz wurde gewaltsam davon abgehalten, zur Vorhalle zu eilen, Vishous und Butch überprüften stattdessen den Monitor.
Und obwohl es Tohr nicht einmal gekümmert hätte, wenn die Jungfrau der Schrift persönlich vor der Tür gestanden hätte, richtete auch er die Augen auf die Eingangshalle.
Ein Schrei ertönte, und eine Stimme mit unverkennbarem Bostoner Akzent wurde laut. Dann riefen mehrere Stimmen durcheinander, sehr viele, zu viele, um sie zu verstehen.
Jemand trat ein, in einer weißen Robe, geführt von V und seinem Jungen.
Egal …
Tohr sprang auf die Füße, als hätte man ihm ein Starterkabel in den Hintern gesteckt.
Autumn stand unter dem Türbogen zum Billardzimmer, mit leicht benommenem Blick und einer wirren Frisur, als wäre sie durch einen Windkanal gekommen …
Tohr pflügte sich durch die Menge von kräftigen Männerleibern, schob alles und jeden aus dem Weg, um zu ihr zu gelangen. Vor ihr kam er schlitternd zum Stehen. Packte sie bei den Schultern. Musterte sie von Kopf bis Fuß. Schüttelte sie kräftig, um zu prüfen, ob sie tatsächlich auch echt war.
»B ist du … es wirklich?«
Statt einer Antwort schlang sie ihm die Arme um den Hals und umklammerte ihn so fest, dass er nicht mehr atmen konnte – zum Glück. Denn das bedeutete doch wohl, dass sie real war, oder? Das war sie doch?
»L assiter … es war Lassiter. Er hat mich gerettet …«
Tohr hatte Mühe zu begreifen, was sie da sagte. »W as … wie meinst du – ich verstehe das alles nicht …«
Sie musste es ihm mehrfach erzählen, denn sein
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