Black Dagger 20 - Schattentraum
Kopf war einfach nicht aufnahmefähig. Irgendwas von wegen, sie sei zum Eingang des Schleiers gelangt, und dann sei der Engel aufgetaucht und hätte gesagt …
»E r sagte, er würde alles geben, um uns zu retten. Alles …«
Tohr löste sich aus der Umklammerung und berührte Autumns Gesicht, ihren Hals, ihre Schultern. Sie war so real, wie er es war. Sie war so lebendig wie er. Sie war … von diesem Engel gerettet worden?
Aber Lassiter hatte doch gesagt, er wäre frei, wenn sein Plan aufging.
Die einzig mögliche Erklärung war, dass er seine Zukunft eingetauscht hatte … für ihre.
»D ieser Engel«, flüsterte er. »D ieser gottverdammte Engel …«
Tohr beugte sich hinab und küsste Autumn so lang und innig, wie er konnte. Und während dieses Kusses nahm er sich vor, den Engel zu ehren, genau wie sich und diese Frau, so gut er es vermochte, all die Jahre, die ihm auf Erden beschieden waren.
»I ch liebe dich«, flüsterte er. »U nd genau wie Lassiter werde ich alles für uns geben.«
Autumn nickte und erwiderte seinen Kuss, und dann spürte er mehr, als dass er es hörte, wie auch sie »I ch liebe dich« sagte.
Er zog sie an sich und hielt sie in den Armen, schloss die Augen und zitterte am ganzen Leib, weil ihn das alles überwältigte. Aber er kannte die Spielregeln und hatte kein Problem damit.
Das Leben war kurz, ganz gleich, wie viele Tage einem gewährt wurden. Leute, die einen im Leben begleiteten, waren kostbar, jeder einzelne, egal wie viele einem das Glück bescherte. Und die Liebe … für die Liebe lohnte es sich zu sterben.
Und zu leben auch.
41
Als die Morgendämmerung gegen Ende der dunklen Nacht herannahte und der Mond schon tief am Himmel stand, verließ Xcor die Innenstadt von Caldwell. Nach diesem aberwitzigen Treffen mit der Glymera hatte er sich mit seiner Bande auf dem Dach des Wolkenkratzers wiedergetroffen, aber er war nicht in der Verfassung gewesen, irgendwelche Strategien auszuhecken oder über die Aristokraten zu reden.
Also befahl er seinen Soldaten, zu ihrem neuesten Unterschlupf zurückzukehren, und entfloh allein in die Kälte. Er hatte genau gewusst, wohin er musste.
Zu der Wiese, der mondbeschienenen Wiese mit dem großen Baum.
Es war eine Winterlandschaft, in der er Gestalt annahm, doch für ihn leuchtete sie in den Farben des Herbstes, und die Zweige des Ahorns waren nicht kahl, sondern bogen sich unter roten und goldenen Blättern.
Er stapfte durch den Schnee die Anhöhe hinauf und blieb an der Stelle stehen, an der er die Auserwählte zum ersten Mal gesehen … und ihr Blut genommen hatte.
Er erinnerte sich an jedes kleinste Detail von ihr, ihr Gesicht, ihren Duft, ihr Haar. Daran, wie sie sich bewegte, und an den Klang ihrer Stimme. Daran, wie zierlich sie gebaut war, und an die beängstigende Verletzlichkeit ihrer weichen Haut.
Er sehnte sich nach ihr, und sein kaltes Herz flehte die Mächte des Schicksals an, obwohl er genau wusste, dass sie seinen Wunsch niemals erfüllen konnten.
Er schloss die Augen, stützte die Hände in die Hüften und senkte den Kopf.
Die Bruderschaft hatte ihren Unterschlupf im Bauernhaus aufgestöbert.
Der Gewehrkoffer, in dem Syphon das Werkzeug für seine Hinrichtungen aufbewahrte, war verschwunden.
Jemand war in der vergangenen Nacht gekommen und hatte ihn mitgenommen. Also hatten sie zur Abenddämmerung ihre Siebensachen gepackt und sich zu einer neuen Basis dematerialisiert.
Dahinter steckte zweifelsohne die Auserwählte. Xcor konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihn sonst hätten aufspüren sollen. Und noch etwas war klar: Die Bruderschaft würde dieses Gewehr verwenden, um eindeutig nachzuweisen, dass der Schuss auf Wrath vor ein paar Monaten aus einer ihrer Waffen gekommen war.
Wie gewissenhaft.
Was war dieser Wrath doch für ein guter kleiner König. So umsichtig, nicht überstürzt und unbegründet zu handeln – und doch war er offensichtlich dazu fähig, jede ihm verfügbare Waffe zum Einsatz zu bringen.
Nicht, dass Xcor der Auserwählten einen Vorwurf machte – weit gefehlt. Allerdings musste er herausfinden, ob ihr nichts zugestoßen war. Er musste sich einfach vergewissern, dass seine Feinde sie nur benutzt und nicht misshandelt hatten.
Oh, wie sein dunkles Herz bei der Vorstellung revoltierte, sie könnten ihr ein Leid zugefügt haben …
Während er seine Möglichkeiten erwog, blies ein kalter Nordwind, als wollte er bis in sein Mark vordringen. Aber es war zu spät. Sein Herz war ohnehin schon
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