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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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zischt knapp an seinem nicht unbedeutenden Nasenrücken vorbei. Er stolpert rückwärts und blinzelt ein paar Tränen zurück.
    Sie denkt daran, ihn zu erschießen, aber – Nein. Ingersoll wird den Schuss hören. Tu’s nicht.
    Stattdessen rennt sie auf ihn zu und rammt den Lauf der Pistole fest auf Frankies Solarplexus.
    »Der Solarplexus ist ein wichtiger Nervenknotenpunkt.«
    Frankie fummelt nach seiner Pistole, aber Miriams Knie schlägt sie ihm aus der Hand.
    Er ächzt, und sein Gesicht wird rot, als sie ihm mit dem Pistolengriff auf den Kehlkopf schlägt.
    »Der Warzenfortsatz löst den Würgereflex aus.«
    Als wollte er sie bestätigen, knickt er nach vorn ein und würgt. Er würgt nicht trocken, er kotzt etwas aus, das wie ein halbverdautes Sandwich aussieht.
    Sie fragt sich kurz, wie sie ihn töten wird. Vornübergebeugt, in der Position eines Sumoringers, kotzt er auf sich selbst und versucht, rückwärts davonzukriechen.
    Scheiß drauf , denkt sie. Erwürg ihn einfach.
    Miriam stellt sich hinter ihn und nimmt ihn mit dem Pistolenarm so in die Zange, dass seine Kehle in ihrer Armbeuge liegt. Sie zieht so stark, als wolle sie ein Pony erwürgen ...
    Frankie ist zweiundvierzig Jahre später ein alter Mann, als er mit seinem Enkel in einem abgedunkelten Kino sitzt, und der Junge ist fasziniert, als sein Gesicht von dem angeleuchtet wird, was man auf der Leinwand wohl sieht. Der Junge strahlt, und Frankie sieht es, dann legt er seinen Kopf zurück u nd schließt für einen Augenblick die Augen und lässt den Herzanfall geschehen, der sich die letzten sechs Stunden lang angekündigt hat und der ihn seitdem mit einem stumpfen Rohr durchwalkt und in seinem drückenden Griff festhielt. Sein Mund öffnet sich, er schnappt ein letztes Mal nach Luft, und der Junge merkt es nicht, er schaut weiter nach vorn.
    ... und sie lässt ihn los.
    Frankie japst, taumelt und fällt in seine eigene Sandwich-Kotze.
    »Du wirst eines Tages Großvater«, sagt sie.
    »Okay«, krächzt er und blinzelt die Tränen zurück.
    »Du magst dieses Leben doch nicht wirklich, oder?«
    »Nein, um Himmels willen, nein. Ich hasse es.«
    »Hast du die Schlüssel zu dem Escalade?«
    Er nickt.
    »Nimm sie. Nimm den Wagen. Hau ab. Du willst gar nicht hier sein.«
    Er nickt wieder.
    »Wenn ich dich je wiedersehe, werde ich dafür sorgen, dass du nie Großvater wirst«, sagt sie.
    Sie geht an ihm vorbei in den Leuchtturm. Es donnert jetzt in einem fort, das Gewitter ist nicht mehr weit weg.
    Es ist jetzt ganz nah.
VIERZIG
    Old Barney
    Der Raum mit dem Scheinwerfer, das Lampenhaus, ist verglast – oder besser gesagt, in einigen Fenstern ist Glas, andere wurden bereits durch Polykarbonatfenster ersetzt.
    Aber das Leuchtfeuer hat man noch nicht ersetzt.
    Louis ist an einen hölzernen Stuhl gefesselt, der davorsteht. Der Scheinwerfer selbst ist ein gewölbtes Ding und sieht aus wie das Auge eines Rieseninsekts. Louis’ Fesseln bestehen aus braunen Verlängerungskabeln an Beinen und Armen. Sein Kopf ist am Fuß des Scheinwerfers mit etwas befestigt, das aussieht wie eine ganze Rolle Isoband.
    Ingersoll spielt mit einem rostigen Filetiermesser. Er nimmt den Geruch von Fischinnereien mit der Nase auf.
    Er hat das Messer einem Fischer gestohlen, der auf einer nahen Mole döste. Hat ihm das Genick gebrochen und den armen Teufel in die Brandung fallen lassen – natürlich nicht, ohne sich das Messer unter dem Stuhl zu schnappen.
    Ingersoll lässt die Knochen aus seinem Beutel kullern. Sie fallen klappernd auf den Boden des Lampenhauses, und er legt sie sich zurecht wie einer, der Steinchen aus einem Haufen Bohnen heraussucht. Sein Finger fährt durch die Knochen, sucht hier, sucht da. Als lese er sie.
    Das tut er natürlich nicht. Er kann sie nicht lesen. Er besitzt die Gabe seiner Großmutter nicht, nicht so, wie er es gern hätte. Er tut manchmal so, und dieses So-Tun ist manchmal so gut, dass er sich selbst davon überzeugt.
    Diesmal versucht er mit allen Kräften vorherzusehen, was hier passieren wird.
    Eines der Fenster über seinem Kopf ist kaputt. Der Wind heult hindurch.
    »Ein Sturm zieht auf«, sagt er.
    Seine Zielperson, Louis, ist immer noch übernächtigt, zerschlagen und halb betäubt von Frankies Drogen. Er muss blinzeln, als er sich zusammenreißt und sein Blick klarer wird.
    Ingersoll seufzt. Die Knochen sprechen nicht zu ihm. Wieder einmal – eigentlich so wie immer – muss er seine eigene Wahrheit erfinden und seine Zukunft selbst

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