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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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ist auf ihr, eine Hand umschließt ihre Kehle mit Fingern wie Kiefernzangen eines Insekts, und sie wird vom Schwung zurückgeworfen. Sie prallt gegen die Metallstufen, und sie spürt, wie er auf sie stürzt, und dann ist sie auf ihm, und das Unterste wird zuoberst gekehrt. Schwarze Mauersteine und weiße Fugen verschwimmen zu einer Spirale, die in einen Abgrund führt, und wieder und wieder kommt ihr Gesicht mit kaltem, gelbem Metall in Berührung ...
    Ihre Muskeln schreien auf, ihre Knochen fühlen sich zerbrochen und zerschlagen an, sie streckt mit aller Kraft ihre Glieder aus, was ihren Fall wirklich etwas abbremst ...
    Dann kommt sie etwa zehn Meter tiefer zum Stillstand.
    Auf der Wand neben ihr ist frisches Blut.
    Unter ihr starren Ingersolls Augen nach oben.
    Sein Kopf ist auf unnatürliche Weise verdreht, das Kinn auf die Schulter gepresst, die Halswirbel drücken sich von unten so eng an die haarlose Nackenhaut, dass es aussieht, als würde sie gleich aufplatzen wie eine überreife Frucht. Sein toter Blick scheint sie zu fixieren. Wie bei einem Porträt, dessen Augen einen verfolgen.
    Miriam muss beinahe lachen.
    Aber selbst nur ein Beinahe-Lachen tut weh. Sehr weh.
    Sie sieht an sich herab und erkennt, dass ein rostiges Fischmesser aus ihrer Brust ragt. Es hat ihre linke Titte durchstochen, bis zum Heft.
    Miriam versucht, Luft zu holen. Es ist, als sauge sie sich die Lunge voll Feuer.
    »Scheiße«, sagt sie.
    Dunkelheit übermannt sie, und sie fällt weiter die Treppe des Leuchtturms herunter.
ZWISCHENSPIEL
    Der Traum
    »Verstehst du es jetzt?«, fragt Louis. Er geht neben ihr her.
    Zusammen gehen sie über einen schwarzen Sandstrand, jedes Korn fängt die Sonnenstrahlen auf eine Weise ein, dass es schimmert. Der Sand unter Miriams Füßen ist warm. Wellen klatschen an den Strand. Die Luft riecht würzig, aber nicht fischig oder brackig.
    »Ich verstehe, dass ich tot bin, und Gott sei Dank fühlt sich das hier nicht wie die Hölle an.«
    »Du bist nicht tot«, sagt Louis und kratzt sich an einem der beiden X-e über seinen Augen. »Obwohl ich vielleicht anmerken sollte, dass du gerade dabei bist zu sterben.«
    »Na toll. Also hab ich wohl irgendeinen Fiebertraum mitten in einer Operation. Dann zeig mir mal das Licht, damit ich drauf zulaufen kann.«
    »Das ist nicht der Punkt.«
    »Nicht?«
    »Nein. Überleg mal. Was ist gerade passiert?«
    Sie muss wirklich überlegen, sie würde lieber nicht darüber nachdenken. Sie wäre lieber hier, im Jetzt, an diesem Strand.
    Trotzdem braucht sie nicht lange, um sich zu erinnern.
    »Ich hab die Bank gesprengt.«
    »Das hast du«, antwortet Louis.
    »Diesmal ist nicht das passiert, was hätte passieren sollen. Das tat es beinahe. Aber ich hab’s geändert.«
    »Das hast du wirklich. Und zwar spektakulär. Gute Arbeit.«
    »Danke.« Sie lächelt. Richtig echt. Kein halbes Lächeln, kein bitteres Schmunzeln, kein hämisches Grinsen, sondern ein echtes, absolut ansteckendes Lächeln. »Ich weiß nicht, was ich anders gemacht hab. Ich habe es allerdings wirklich versucht. Vielleicht ist es so passiert, weil ich dich liebe. Oder ihn. Ich glaube, du bist nicht er.«
    Louis’ Lächeln verblasst. »Ich bin nicht er, und du verstehst immer noch nicht. Du weißt, warum es passierte. Du weißt, wie du den Teufelskreis durchbrochen hast.«
    »Tu ich nicht! Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Willst du einen Hinweis?«
    »Ich will einen Hinweis, ja.«
    Sie blinzelt, denn Louis ist jetzt auf einmal ihre Mutter. Verkniffenes Gesicht, ein kleiner, gebeugter Körper.
    »Dein Auge soll sie nicht schonen; Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.«
    Dann, paff  – da ist wieder Louis mit den X-Augen.
    »Ich kapier immer noch nicht ...«
    Nein, halt. Ja, ja, sie kapiert es doch.
    »Ich habe jemanden getötet.«
    Louis schnippst mit den Fingern. »Klingeling. Gebt diesem Mädchen den Riesenteddy.«
    Miriam bleibt stehen. Wolken treiben vor die Sonne. Irgendwo über dem Meer ballt sich ein Sturm zusammen, und Regen prasselt auf die Wellen.
    »Ich bin normalerweise nur der ... Bote. Der Geier, der an den Knochen pickt. Aber diesmal nicht. Diesmal habe ich ... habe ich die Dinge geändert. Ich habe Ingersoll getötet.«
    »Du hast die Waage ausgeglichen. Die Waage will immer ausbalanciert werden. Wenn du eine Veränderung bewirken willst, eine Veränderung, die so groß, so kosmisch ist, dass du den Tod änderst und dem Schicksal direkt in den Arsch

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