Blackbirds
trittst, dann solltest du besser darauf vorbereitet sein, dafür zu zahlen.«
»Mit Blut«, ergänzt Miriam. Ihr Mund ist trocken, ihr ist kalt bis auf die Knochen. Blitze zucken über dem Meer, weit draußen, wo es an den stählernen Himmel stößt.
»Mit Blut und Galle und geleerten Gedärmen.«
»Wer bist du?«, fragt sie ruhig.
»Du meinst, was bin ich.«
Sie antwortet nicht.
Louis wird wieder zu ihrer Mutter. Dann wird er zu Ben Hodges, dessen Hinterkopf aufblüht wie eine blutige Orchidee. Dann Ashley, der auf einem Fuß auf der Stelle hüpft.
Dann wieder Louis.
»Vielleicht bin ich das Schicksal«, sagt er. »Aber vielleicht, nur vielleicht, bin ich auch das Gegenteil, so wie der Teufel Gottes Gegenpart ist. Vielleicht bin ich nur du selbst, nur die Stimmen in deinem Kopf.«
Er grinst breit. Jeder einzelne seiner Zähne ist wie ein kleiner Schädel.
»Aber eins weiß ich. Wir haben noch viel mehr für dich zu tun.«
»Wir?«, fragt sie mit kaltem Herzen ...
EINUNDVIERZIG
Feind des Schicksals
Keuchend erwacht sie. Sie fühlt sich wie in Seetang gewickelt. Sie beginnt, die würgenden Wedel von sich zu reißen – die, die ihre Kehle hinunterkriechen, die, die sich in ihren Arm und ihre Brust gegraben haben –, und plötzlich ist da dieses ganze Piepen, schnell und langsam, manches ein dumpfes Summen, und die Welt wird im gleichen Maße klarer, wie ein stechender, aseptischer Gestank in ihre Nase kriecht, sich dort festsetzt und Kinder kriegt.
Louis ist über ihr und hält sie fest.
»Hey«, sagt er. »Ganz ruhig, Brauner, ganz ruhig. Alles ist in Ordnung. Du bist in Ordnung.«
Ein weißer Wattebausch liegt auf seinem linken Auge und wird dort von gelbem Pflaster festgehalten.
»Fick dich«, zischt sie. »Fahr zur Hölle. Beantworte meine Frage. Wer bist du? Was meinst du mit ›wir‹? Raus aus meinem Kopf. Ich will sterben oder aufwachen. Ich will sterben oder aufwachen!«
»Du bist wach«, sagt er und streicht über ihr Haar. »Schschsch.«
Sie blinzelt.
Dieser Louis riecht nach Seife.
Und er hat ein funktionierendes Auge.
Und ihre Brust tut weh, als habe jemand dort ein Messer hineingejagt. Was auch der Fall war, als sie das letzte Mal nachgesehen hat.
»Ich schlafe nicht?«, will sie kleinlaut wissen.
»Nein.«
»Das ist kein Traum?«
»Ich glaube nicht, auch wenn ich sagen muss, dass es sich manchmal so anfühlt.«
Miriam weiß nicht, was sie sagen soll. »Tut mir leid«, platzt es dann aus ihr heraus.
»Es tut dir leid?«
»Die Situation ist ... kompliziert. Und das ist meine Schuld.«
Er sitzt im Stuhl direkt neben ihrem Bett. »Ja, es ist kompliziert, stimmt. Aber ich bin nicht so sicher, ob es tatsächlich deine Schuld ist.«
»Du kannst das nicht wirklich verstehen, und du würdest mir nicht glauben, wenn ich dir erzähle ...«
»Ich hab dein Tagebuch gelesen«, sagt er.
Sie starrt ihn an.
»Was?«
Er zieht es hinten aus dem Gürtel und legt es ihr auf den Schoß. »Tut mir leid. Ich weiß, es ist nicht besonders nett, das zu tun, aber ich brauchte da einige Antworten. Ich hoffe, du verstehst das. Ich dachte, du würdest mich nur ausnehmen wollen – und vielleicht wolltest du das sogar mal –, aber das Nächste, was ich erlebe, ist, dass ich in einem Leuchtturm bin, dass irgendein Spinner versucht, mir die Augen rauszuschneiden, und dann kommst du, liegst halbtot unten am Boden eines Leuchtturms, und der glatzköpfige Spinner ist komplett tot irgendwo in der Mitte, und ... ich brauchte irgendeine Erklärung, was los war. Du warst nicht mehr ganz auf dieser Welt, also konnte ich dich nicht fragen. Alles, was ich hatte, war dieses Buch – es war rausgefallen, als du die Treppe runtergefallen bist.«
Miriam holt tief Luft, und das tut höllisch weh. »Also weißt du’s jetzt. Du weißt, was ich bin. Was ich sehe.«
»Ja.«
»Glaubst du’s?«
»Ich denke schon. Entweder das, oder du hast grade den längsten und durchgeknalltesten Trick der Betrugsgeschichte durchgezogen.«
»Sehe ich da den Anflug eines Lächelns?«
»Vielleicht. Selbst nach allem, was passiert ist, ist das vielleicht so.«
Sie zögert, aber sie war nie bekannt dafür, um den heißen Brei herumzureden.
»Haben sie das Auge gerettet?«
Louis kaut an seinem Daumennagel herum. »Nee.«
»Es tut mir so leid.«
Er winkt ab. »So ist das Leben. Manchmal passieren gute Dinge, manchmal schlechte. Mit den schlechten muss man sich abfinden, besonders wenn man sie nicht ändern
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