Blackhearts: Roman (German Edition)
Klumpen, liegt regungslos auf der Seite.
»Sie glauben, Sie sind anders«, sagt Eleanor so leise, dass sich die Worte fast verlieren. »Sie denken, Sie sind nicht wie ich, weil Sie die Rechtschaffenheit auf Ihrer Seite haben. Aber eines Tages werden sie Sie holen kommen, Miss Black – und dann werden Sie es erfahren. Sie werden erfahren, wie es ist, wenn man wegen seines unerschütterlichen Glaubens daran, wer man ist und was man tut, verfolgt wird. Dann werden Sie verstehen.«
»Ich ermorde keine kleinen Mädchen.«
Eleanor zuckt die Schultern.
Miriam wirft einen Blick zur Schule. Sie sieht ein einziges Polizeiauto auf dem Parkplatz – Lichter aus, sonst ist niemand zu sehen.
»Sie sind hier, um Wren zu töten. Und vielleicht Tavena White.«
»Sie wissen also über Tavena Bescheid.«
»Ich habe es gesehen, ja.«
»Ich kam nicht an sie ran, die Mädchen sind im Wohnheim eingesperrt. Ihre Taten werden die Welt vergiften, fürchte ich. Wissen Sie, was sie eines Tages tun wird? Tavena wird einen Prediger bestehlen, und als er sie erwischt, bringt sie ihn um. Mit einem Brieföffner. Sie sticht dreissig Mal auf ihn ein. Ein Gemeindeleiter, tot durch ihre Hand.«
»Und was macht Lauren Martin?«
Da wendet Eleanor Miriam das Gesicht zu.
Ihre Miene ist ein Bild erfüllten Friedens.
Sie lächelt sanft. »Sie macht nichts. Weil sie sterben wird.«
Sterben wird – also ist sie noch nicht tot?
»Warten Sie!«, schreit Miriam. Aber es ist zu spät –
Die Frau ergreift Wren und stürzt sich mit ihr in den ansteigenden Fluss.
EINUNDSECHZIG
Anstieg
Der Fluss ist dunkel und kalt. Sobald Miriam in seine frostige Umarmung springt, hat sie das Gefühl, als würden Hände sie mit sich reißen und hinabziehen.
Miriam kann nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen.
Nur blutfarbener Schlamm und dunkles Wasser.
In dem Moment wird ihr klar, welch schrecklichen Fehler sie begangen hat – das Wasser strömt zu schnell. Sie versucht, zu schwimmen, aber es ist, als würde sie durch leeren Raum fallen. Ihre Bewegungen scheinen überhaupt keine Auswirkungen zu haben. Wren und Eleanor zu finden wird zu einer unlösbaren Aufgabe.
Hier stirbst du also, denkt sie. Das hast du vorhergesehen – deine Endstation.
U nd du hast es verdient. Oder etwa nicht?
Du bist nicht anders als Eleanor Caldecott. Sie hat recht.
Du hast ihren Sohn ermordet.
Ohne jede Gefühlsregung. Er saß da und weinte über dem Leichnam seines Bruders – tot dank dir –, und du hast ihn erschossen. Kein ordentliches Verfahren. Keine Geschworenen. Nur du, eine Pistole und die Wut in dir, die dir gesagt hat, dass ein solches Ungeheuer nicht leben sollte.
Ist es das, was du jetzt bist?
Die Krähe über dem Schlachtfeld? Die Entscheiderin über Leben und Tod, die Walküre?
Inwiefern bist du anders als Eleanor?
Beantworte das, und du wirst leben.
Sie hört ein widerhallendes Geräusch, eine verzerrte Stimme – ein Säugling, der weint.
Und dann steigt ein Körper neben Miriam an die Oberfläche: eine Leiche, deren tote Wangen vom Flusswasser aufgeschwemmt wurden. Es ist eine Frau, deren strähnige Seegrashaare hinter ihr herschweben – Louis’ Frau. In den Armen hält sie zärtlich ein totes Baby, ein aufgedunsenes, von der Flut ersticktes Engelchen.
Mein Baby , denkt Miriam.
Ein Stechen in ihrem Schoß, als würden die spitzen, pinzettenartigen Finger einer alten Frau ihr in die Eierstöcke kneifen, knipp-knipp . Eine rasche Drehung, und sie sind für immer verschlossen. Kein Baby mehr für Sie, Miss Black .
Der Drang überkommt sie – mach einfach den Mund auf. Atme ein! Nimm einen kräftigen Schluck! Atme das Wasser des Schlammstroms Susquehanna, bis es dir Hals und Lunge verstopft, dann kannst du ausruhen. Nicht nötig, so schwierige Fragen zu beantworten.
Louis’ tote Frau ist verschwunden.
Das Baby ebenfalls, Miriams eigenes namenloses Baby.
Ein anderes Gesicht schwebt an die Oberfläche.
Das Gesicht von Eleanor Caldecott. Die Augen aufgerissen, Mund offen.
Ist sie real?
Real oder nicht, tot ist sie auf jeden Fall.
Miriam greift nach ihr, fühlt das feuchtkalte Fleisch. Sie hält sich an der Leiche fest, während der Fluss sie beide mitreißt, sieht wie ihr knochiges Handgelenk in einer arthritischen Klaue endet, die wiederum ein knochiges Handgelenk gepackt hält.
Einen Augenblick lang wird das Wasser klarer und ruhiger. Miriam kann Wren plötzlich sehen – sie ist immer noch in Eleanors Griff gefangen,
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