Blackout (German Edition)
bieten lassen!«
»Wir können das ganz kurz machen. Ich muss wissen, wo meine Mutter ist.«
»Warum?«
»Wenn du mich los sein willst, sag es mir einfach.«
Sie überlegte nicht lange. »Sie ist in der Ferienwohnung in Celerina.«
Celerina. Im Engadin. Nick schluckte. Wie sollte er dort hinkommen? Die zwanzig Franken reichten nie und nimmer für das Bahnticket. Und per Anhalter konnte das eine Ewigkeit dauern. Ohne ein Wort zu sagen drückte er sich an Erna vorbei und marschierte zielstrebig in das Büro seines Vaters. Die Schlüssel der Harley lagen auf der linken Box der Stereoanlage. Wie immer. Der Alte und seine Gewohnheiten. Endlich hatten sie mal etwas Gutes. Nick schnappte sich die Schlüssel. Als er sich umdrehte, stand Erna in der Tür.
»Damit wirst du nicht durchkommen.« Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht machte sie Nick Platz. Er verließ sein Elternhaus im Wissen, dass er zu weit gegangen war.
13
B is vor Kurzem war seine Mutter für ihn eine verbitterte Frau mit verkniffenem Mund gewesen. Nach der Prügelei änderte sich das. Hartnäckig schob sich ein anderes Bild in den Vordergrund: eine lächelnde Frau, die ihn liebevoll ansah. Seine strahlenden Augen. Die verwuschelte Frisur. Acht Kerzen, wild auf dem Geburtstagskuchen verteilt.
Er wollte wissen, was passiert war. Wann alles begonnen hatte, so schrecklich schiefzugehen, und er nahm sich vor, sie anzurufen. Jeden Tag erfand er Gründe, es nicht zu tun. Als er das letzte Regal für Susannas Laden bemalt hatte, legte er den Pinsel weg. Das Telefon stand zum Greifen nahe auf dem Schreibtisch. Er brauchte nur den Arm auszustrecken. Es war doch so einfach. Er atmete tief ein, griff zum Hörer und wählte ihre Nummer.
»Bergamin«, meldete sie sich.
Er brachte keinen Ton heraus.
»Hallo?«, rief seine Mutter.
»Mam? Ich bin’s, Nick.«
Nun blieb es an ihrem Ende der Leitung für eine Weile still.
»Was willst du? Geld?« Klar fragte sie das. Er hatte immer nur Geld gewollt, wenn er sie angerufen hatte.
»Nein, kein Geld«, sagte er schnell.
Wieder blieb es still.
»Mir geht es gut, Mam«, durchbrach er schließlich das Schweigen.
»Schön«, sagte sie irritiert.
»Und wie geht es dir?« Wie lange war es her, seit er sie das das letzte Mal gefragt hatte? Falls er sie das überhaupt jemals gefragt hatte.
»Nick, bist du auf Drogen?«
»Nein, es geht mir gut.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, klang es aus dem Hörer.
»Ist schon okay. Mam, ich muss dich was fragen. Erinnerst du dich an meinen achten Geburtstag?«
»Du bist doch auf Drogen, habe ich Recht?«
»Nein, Mam. Echt nicht. Erinnerst du dich?«
»Ja.« Er konnte hören, wie verwirrt sie war.
Schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte, fragte er: »Sag mal, wie war das damals? Es ging uns doch gut, oder?«
Er konnte sie atmen hören, aber sie sagte nichts.
Gerade als er seine Frage wiederholen wollte, legte sie auf.
Nick bog in die Einfahrt der Ferienhaussiedlung in Celerina ein. Er parkte das Motorrad und versuchte sich zu erinnern, in welchem der Häuser die Wohnung seiner Eltern lag. Es gelang ihm nicht. Er musste sich an den Türschildern orientieren und wurde erst im dritten Hausfündig. Die Eingangstür war abgeschlossen. Er klingelte, aber es blieb alles ruhig. Seine Mutter war nicht da. Nervös schaute er auf die Uhr. Kurz vor elf und er hatte keine Ahnung, wo sie sein konnte. Aus einem offenen Fenster dudelte ein volkstümlicher Schlager. Es roch nach frisch gebackenem Brot. Auf einem Balkon hing weiße Wäsche. Über allem ein strahlend blauer Engadiner Himmel. Wie in einem Kitschprospekt. Er drückte auf alle Klingeln des Hauses, ein paar Sekunden später ertönte der Summer und Nick gelangte problemlos ins Haus.
Die Tür zur Ferienwohnung seiner Eltern war verschlossen. Er hätte vorher anrufen sollen!
Angespannt zündete er sich eine Zigarette an und wartete. Setzte sich auf eine Stufe, sprang wieder hoch, ging hin und her. »Fuck!« Er schlug mit der flachen Hand gegen die Tür.
»Was soll der Krach? Mach die Zigarette aus! Hier wird nicht geraucht!« Eine stämmige Frau baute sich vor ihm auf. »Dich habe ich noch nie gesehen! Du wohnst nicht hier. Mach, dass du rauskommst!«
»Und wenn nicht?« Er ging auf sie zu, Schritt für Schritt, bis er ganz dicht vor ihr stand, nahm einen tiefen Zug und blies ihr den Rauch ins Gesicht. Sie wich zurück. Blöde Kuh!
Die Eingangstür fiel ins Schloss, jemand kam die Treppe hoch. Er
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