BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
aufgekratzt. Sie freuten sich auf ihre Freunde und Großeltern in Paris. Je länger sie warten mussten, desto unleidlicher wurden sie. Bollard fragte sich, was sie machen sollten, wenn der Abflug noch einmal verschoben wurde.
Die langen Sitzreihen in den Wartezonen waren überfüllt. Dazwischen saßen die Menschen auf ihren Koffern. An den Theken der Fast-Food-Restaurants stauten sich die Schlangen. Bollard sah sich um, ob er irgendwo ein ruhiges Plätzchen für sie fand, doch das Gedränge war dafür mittlerweile viel zu groß.
»Was steht da jetzt?«, fragte Bernadette.
»Wieso?«
»Na toll«, hörte Bollard seine Frau sagen und richtete seinen Blick auf die Anzeige.
Cancelled .
Cancelled .
Cancelled .
Paris
Lauren Shannon hielt mit der Kamera auf die Männer vor ihr. James Turner, Korrespondent von CNN in Frankreich, streckte seinem Gesprächspartner das Mikrofon unter die Nase.
»Ich stehe hier vor der Zentrale der Pariser Feuerwehr an der Place Jules Renard«, sagte Turner. »Bei mir ist jetzt François Liscasse, Général de division, Leiter der Brigade de sapeurs-pompiers de Paris, wie die Feuerwehr in der französischen Hauptstadt heißt.«
Im Licht des Scheinwerfers leuchteten die Schneeflocken wie Glühwürmchen.
Turner wandte sich an Liscasse.
»Général Liscasse, seit über fünf Stunden ist Paris ohne Strom. Gibt es schon Informationen, wie lange dieser Zustand noch anhalten wird?«
Liscasse trug trotz des Wetters nur eine blaue Uniform. Seine Kappe ließ Shannon an de Gaulle denken und erinnerte sie daran, dass die Pariser Feuerwehr eine militärische Einheit war, die dem Innenministerium unterstand.
»Darüber kann ich im Moment keine Informationen geben. In ganz Paris und Umgebung sind alle verfügbaren Männer unterwegs, mehrere Tausend. Immerhin besitzen wir nach New York die größte Feuerwehreinheit der Welt. Die Pariser Bevölkerung kann sich deshalb selbst unter diesen Umständen sicher fühlen. Zurzeit sind wir damit beschäftigt, Menschen aus U-Bahnen und Fahrstühlen zu befreien. Außerdem kam es zu vielen Verkehrsunfällen und vereinzelt zu Bränden.«
»Général Liscasse, wissen Sie, wie viele Menschen etwa noch festsitzen?«
»Wir haben bereits Tausende befreit. Wie viele noch ausharren müssen, ist schlecht einzuschätzen. Erschwerend kommt hinzu, dass uns viele Menschen in Fahrstühlen wegen der überlasteten Mobilfunknetze nicht erreichen und uns über ihre Notlage informieren können. Deshalb müssen sich unsere Mannschaften von Haus zu Haus durcharbeiten.«
»Das heißt, manche müssen bis morgen früh auf ihre Rettung warten?«
»Wir gehen davon aus, dass der Strom bald wieder zurückkehrt. Aber wir werden jeden Einzelnen befreien, dafür verbürge ich mich.«
»Général …«
»Danke. Entschuldigen Sie bitte, ich muss jetzt weiterarbeiten.«
Turner überspielte die Abfuhr routiniert mit einem Blick in die Kamera. »James Turner, in der ›Nacht ohne Strom‹ aus Paris.«
Turner gab Shannon das Zeichen zum Cut und verabschiedete sich von dem Rücken, der ihm ohne ein weiteres Wort zugewandt worden war. Er zog den Fellkragen seiner Jacke höher und sagte zu Shannon: »Ich will endlich etwas von diesen Typen aus dem Innenministerium wissen. Los, da fahren wir jetzt hin.«
Als Turners Kamerafrau und Chauffeurin hatte Shannon gelernt, sich geschickt durch den Pariser Stadtverkehr zu schlängeln. Das Verkehrschaos vor wenigen Stunden hatte sich zwar beruhigt, trotzdem benötigten sie für die kurze Strecke über zwanzig Minuten.
»Schon wieder kein Netz!«, fluchte Turner und schleuderte das Handy vor seine Füße.
Shannon fuhr ungerührt weiter. Nur gelegentlich passierten sie beleuchtete Häuser, die übrige Stadt lag im Dunklen. Schon lange vor dem Ministerium war die Rue de Miromesnil gesperrt. Shannon parkte das Auto kurzerhand in einer Ausfahrt.
Seit zwei Jahren lebte Shannon in Paris. Auf einer Weltreise nach dem College war sie hier hängen geblieben. Anfangs wollte sie noch Journalismus studieren, doch dann bekam sie den Job als Kamerafrau für Turner, der zu viel Zeit fraß. Turner war zwar ein arroganter Mistkerl, der sich für Bob Woodward hielt, aber Shannon war viel herumgekommen und hatte eine Menge gelernt. Längst war sie die bessere Rechercheurin, fand die besseren Geschichten und wusste, wie man sie erzählen musste. Doch vor die Kamera würde Turner sie nicht lassen. In ihrer mageren Freizeit gestaltete sie deshalb eigene Beiträge und
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