BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Schlafen.
Tag 19 – Mittwoch
Paris
Blitzlichtgewitter begrüßte Bollard, als er die Empfangshalle betrat. Er blieb stehen, musste die Hand vor die Augen legen und fragte sich, welcher Prominente erwartet wurde. Dann hörte er seinen Namen rufen. Die Journalisten streckten ihm Mikrofone entgegen, bombardierten ihn mit Fragen. Schützend breitete Bollard seine Arme vor den Kindern aus. Bernadette hopste an ihm vorbei, lachte in die Kameras und zeigte ihnen schließlich – zu Bollards Entsetzen – die Zunge. Die Journalisten blitzten mit noch mehr Begeisterung, doch viele lachten auch, und das löste in Bollard die Anspannung. Woher wussten die Reporter von seiner Ankunft und warum interessierte sie das überhaupt?
Unter den Wartenden entdeckte er seine Eltern und Maries Mutter. Bernadette und Georges stürmten auf die drei zu und wurden von ihnen in die Arme geschlossen. Das perfekte Motiv. Für ein paar Sekunden wandten sich alle Kameras der wiedervereinten Gruppe zu. Bollard und seine Frau nützten die Gelegenheit, um sich an den Reportern vorbeizudrängen.
»Stimmt es, dass Ihnen das Großkreuz der Ehrenlegion verliehen wird!«, hörte er aus dem Getümmel.
»Wurden inzwischen alle Attentäter gefasst?«
»Wie hat Ihre Familie die Wochen in Den Haag überstanden?«
»James Turner, CNN ! Stimmt es, dass Sie Europol verlassen wollen?«
»Wann wird Sie der Präsident empfangen?«
»Was sagen Sie dazu, dass Sie als kommender Innenminister gehandelt werden?«
Bollard antwortete niemandem. Mit Marie am Arm gelangte er zum Rest der Familie. Die Kinder redeten aufgeregt auf ihre Großeltern ein. Für sie war der Tod des Großvaters in diesem Moment weit weg. Bollard drückte Marie den Arm, als Zeichen der Unterstützung, bevor sie ihre Mutter umarmte.
Endlich kamen ihm ein paar Sicherheitsleute zu Hilfe, um seine Familie vor der Medienmeute abzuschirmen. Von ihnen eskortiert gelangten sie zu den Taxis. Seine Familie war bereits in einen Kleinbus eingestiegen, da wandte sich Bollard schließlich doch an die Horde.
»Ich danke Ihnen für den aufregenden Empfang. Aber ich war nur einer von vielen, die den Angreifern das Handwerk gelegt haben. Bedanken Sie sich bei ihnen. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
Er stieg ein, der Wagen fuhr los, und die fragenden Rufe verstummten alsbald.
Tag 23 – Sonntag
Mailand
Auf dem Dach des Doms wehte ein frischer Wind. Unter ihnen funkelten die Lichter der Stadt. Auf dem Platz vor der Kirche demonstrierten seit Tagen Tausende Menschen für eine bessere Versorgung und gegen die Regierung. Manchmal übertönten sie sogar das Tosen des Verkehrs, das nur gedämpft zu ihnen hinaufdrang.
»Kannst du dir vorstellen, dass ich noch nie hier war?«, fragte Manzano.
»Ist das nicht immer so?«, sagte Angström. »Wenn man wo lebt, denkt man sich, man kann das jederzeit tun. Aber man macht es nicht. Erst wenn jemand zu Besuch kommt.«
Das Messer hatte eine Fleischwunde in Manzanos Brust gerissen und die Lunge angeritzt, ihn aber nicht lebensgefährlich verletzt. Ein paar Tage musste er in einem Krankenhaus verbringen, das notdürftig den Betrieb wiederaufgenommen hatte. Danach waren sie noch in Brüssel geblieben. Angström hatte sich Urlaub genommen, sie hatten sich im Hotel erholt, mit Freunden und Verwandten telefoniert, E-Mails gewechselt, herauszufinden versucht, wie sie die zwei Terrorwochen überstanden hatten.
Internet und Fernsehen funktionierten reibungslos, die Medien kannten nur ein Thema. Jorge Pucao wurde weiterhin befragt, wie seine Komplizen in Mexico City und Istanbul. Den flüchtigen Balduin von Ansen hatte die Flughafenpolizei in Ankara festgenommen. Siti Jusuf würde eines Tages auch gefasst werden. Die Aufarbeitung der Fälle würde Jahre in Anspruch nehmen. Die Bewältigung der Folgen noch länger.
Trotz einer Grundversorgung mit Elektrizität war die allgemeine Versorgungslage in vielen Regionen noch immer schlecht, die Unfälle in den Kernkraftwerken und Chemiefabriken hatten ganze Landstriche unbewohnbar gemacht und Millionen aus ihrer Heimat vertrieben. Die Wirtschaft war auf Jahre ruiniert, eine gewaltige Depression wurde erwartet. Noch immer gab es keine endgültigen Todeszahlen, die Rede war von Millionen, wenn man Europa und die USA zusammenzählte, Langzeitopfer nicht eingerechnet. Dabei hätte alles noch schlimmer kommen können. In den Tagen nach Jorge Pucaos Festnahme hatten die IT -Forensiker jene Schadprogramme gefunden, durch die viele Netze in
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